Um halb sechs bin ich aufgewacht und habe mich für die Abfahrt fertig gemacht. Draußen ist es hell und ruhig.
Auch sonst macht Arrochar einen verschlafenen Eindruck. Das Dorf liegt auf der Cowal-Halbinsel in Argyll and Bute in der Nähe des oberen Kopfes des Loch Long. Es liegt nur wenige Kilometer westlich von Tarbert und dem Ufer von Loch Lomond. Nicht alle Gewässer mit dem Namen Loch sind Seen. Es gibt auch Meerwasser-Lochs wie Loch Long, wo die Gezeiten den Wasserstand beeinflussen.
Als ich aufbreche, ist Hochwasser und es weht kein Wind. Es verspricht ein schöner Tag zu werden.

Vor mir liegen ca. 150 km. Das sind 2 Stunden und 30 Minuten Autofahrt. Als ich losfuhr, wusste ich noch nicht, dass diese Fahrt eine der schönsten meiner bisherigen Reise werden würde. Es ging durch die Arrochar Alpen über Tyndrum und Glencoe nach Corran – also noch einmal quer durch die Highlands.
Im Grunde ist jeder Versuch, diese grandiose Landschaft zu fotografieren oder mit einer anderen, anderswo gesehenen zu vergleichen, zum Scheitern verurteilt. Naturschönheiten wie die schottischen Highlands sind oft so einzigartig und atemberaubend, dass sie sich nicht beschreiben oder vergleichen lassen. Jeder Ort hat seine ganz besondere Atmosphäre und seinen ganz besonderen Charme, den man nur selbst erleben kann. Dennoch möchte ich Euch an meiner Freude teilhaben lassen und Euch vielleicht inspirieren, auch einmal hierher zu kommen.
Die Kunst des Reisens besteht darin, jeden Ort in seiner Einzigartigkeit zu schätzen und die Schönheit des Augenblicks zu genießen.




Die Landstraßen sind auch hier nur einspurig. Neben „Blind Summits“, das sind unübersichtliche Straßenkuppen, wird immer wieder vor freilaufenden Schafen gewarnt.
Ich habe den Eindruck, dass das Gras hinter den unübersichtlichen Kurven besonders gut schmeckt, weil die meisten Schafe dort grasen.
Mein Plan, auf die Äußeren Hebriden zu fahren, scheiterte daran, dass ich dort keine Unterkunft fand. Nun hatte ich das Glück, auf der Isle of Mull, die zu den Inneren Hebriden gehört, ein Zimmer für zwei Tage zu finden. Nicht zu verwechseln mit Paul McCartneys und Wings „Mull of Kintyre“ ist die Isle of Mull. Dieses Lied ist eine Hommage an die Halbinsel Kintyre in Schottland, wo McCartney ein Studio und die High Peak Farm besitzt.

Glücklicherweise überquert die Corran Ferry den Loch Linnhe bei den Corran Narrows südlich von Fort William alle 45 Minuten. Ich bezahle 10 Pfund und nach einem kleinen Frühstück geht es weiter nach Lochaline. Von dort geht es mit einer weiteren Fähre nach Fishnish auf der Isle of Mull. Auch diese Überfahrt ist kurz.
Bei einem kleinen Imbiss orientiere ich mich auf der Inselkarte und beschließe, zum Glengorm Castle zu fahren.

James Forsyth, der Erbauer von Glengorm Castle, war auf der Insel eine höchst unerwünschte Persönlichkeit. Durch willkürliche Maßnahmen und ständigen Zwang vertrieb er die Einheimischen von ihrem Land. Auch eine alte Frau, die eine Besitzurkunde für ihr Land besaß, wurde von Forsyth schlecht behandelt.
Er entriß ihr das Dokument, verbrannte es und forderte sie auf in nur einer Woche, ihr Haus zu verlassen.
Mit Hilfe eines Beamten, der im Besitz des Originals der Besitzurkunde war, klagte sie auf ihr Recht zu bleiben.
Forsyth errichtete einen Zaun um ihr Grundstück, um sie am Einkaufen zu hindern. In dieser Situation boten Soldaten aus der Umgebung ihre Hilfe an, so dass sie in ihrem Haus bleiben konnte.
Forsyth starb kurz vor der Fertigstellung von Glengorm Castle. Während der Bauarbeiten wandte er sich an eine andere ältere Dame und fragte sie, welchen Namen er seinem imposanten neuen Haus geben solle. Sie schlug „Glengorm“ vor, aber er wusste nicht, dass dies „blauer Rauch“ bedeutete – eine Anspielung auf den Torfrauch, der nicht mehr aus den Häusern der Menschen aufsteigen würde, die er heimatlos gemacht hatte.
Diese kleine Geschichte symbolisiert das Schicksal vieler Schotten, die in den Highlands lebten. Diese Zeit ist bekannt als die Highland Clearances, eine Epoche, die zur Massenauswanderung von Schotten nach Amerika und Australien führte.
Karl Marx und Friedrich Engels beschäftigten sich in ihren Büchern mit den Highland Clearances, einer Reihe von Massenvertreibungen in den schottischen Highlands zwischen 1760 und 1860.
Die Highland Clearances wurden von der Klasse der Großgrundbesitzer initiiert, die versuchten, ihre Ländereien profitabler zu machen, indem sie die Bevölkerung vertrieben, um Platz für extensive Schafzucht zu schaffen.Sie zwangen die Pächter, ihre Selbstversorgung aufzugeben und Teilzeitpächter, Teilzeitfischer oder Seetangsammler zu werden.
Viele von ihnen suchten ihr Glück in den Städten, wo sie als rechtlose Proletarier in den aufkommenden Fabriken der industriellen Revolution schuften mussten.

In Gedanken an diese traurige Episode der Geschichte wanderte ich über die Weiden von Glengorm, als ich plötzlich diesem Rind gegenüberstand. An sich nichts Besonderes, aber ohne Zaun zwischen uns doch etwas beunruhigend. Ruhigen Schrittes ging ich meinem Ziel entgegen.



Mein Ziel auf dieser Wanderung sind die Standing Stones von Glengorm. Die Zeugnisse der Megalithkultur ziehen mich immer wieder auf besondere Weise an. Neben Stonehenge und den Steinreihen von Carnac, die ich im vergangenen Herbst besucht habe, habe ich schon einige andere solcher Stätten gesehen. Manche Steine sind unglaublich groß und beeindruckend, während andere Anlagen eher klein sind. Aber egal wie groß sie sind, sie stehen immer an besonderen Orten und sind bis zu 5.000 Jahre alt. Sie wurden aufgestellt als in Ägypten die Pyramide von Gizeh gebaut wurde.
Ich meditierte eine Stunde bei den Steinen und lauschte dabei dem leisen Rauschen des Windes.

Im Restaurant von Glengrom hatte ich ein ausgezeichnetes Mittagessen, das mich für die Erkundung der Kilmore Stones bei Dervaig stärkte. 30 Minuten dauerte die Fahrt im Schritttempo über den Waldweg, der eigentlich keiner mehr ist. Links und rechts des Weges wird Holz geschlagen. Die kahlen Berghänge sind traurig anzusehen. In alten Büchern steht, dass ganz Schottland früher komplett bewaldet war.
Da fast alle Häuser aus Granit gebaut sind, kann ich mir gut vorstellen, dass das Holz zum Heizen verwendet wurde. An einem sonnigen Tag wie heute steigt das Thermometer nicht über 20 Grad – wie kalt und feucht muss es hier im Winter sein?
Ob auch die Wegweiser zu den Dervaig Stones den Bäumen zum Opfer gefallen sind, kann ich nicht sagen, aber die Steine habe ich leider nicht gefunden.


Am frühen Nachmittag fuhr ich nach Tobermory, wo ich zwei Nächte bleiben werde. Es ist ein hübscher kleiner Ort. Die Attraktion ist die Destillerie, die aber nach 15 Uhr keine Verkostungen mehr anbietet. Also gehe ich abends in eine Bar, um die verpassten Whisky-Tastings nachzuholen.
In diesem hübschen Haus wohne ich bei Sheena und Ian.

