Erasmus von Rotterdam und Stefan Zweig

Ich versuche hier, in homöopathischen Dosen für Goethes Werk zu werben. Bin ich damit schon ein Influencer? Bitte nicht erschrecken angesichts Länge dieses Textes, es geht um Humanismus und „positiven Frieden“.

 

Als Humanist vertrat Goethe eine Weltanschauung, in der die Achtung vor der Würde des Menschen, seiner Persönlichkeit und seines Lebens, Toleranz sowie Gewissens- und Gewaltfreiheit eine Selbstverständlichkeit sind. Diese Werte sind heute in fast allen Verfassungen verankert – wenn auch nicht immer vollständig umgesetzt.

 

Im Folgenden möchte ich zwei weitere Humanisten vorstellen, deren Bücher mich sehr bereichert und unterhalten haben. Das ist kein Widerspruch! Ihre Werke sollte man nicht nur als Schüler lesen. Ich habe für mich festgestellt, dass ich heute – 20 oder gar 40 Jahre später – beim Wiederlesen ganz neue Entdeckungen machen kann.

 

Ich werde kurz auf die Biographien meiner beiden „Helden“ Erasmus von Rotterdam und Stefan Zweig eingehen, bevor ich jeweils zwei ihrer Bücher vorstelle.

 

Die Zeit von Erasmus liegt so weit zurück, dass ich zur Orientierung einige Daten nennen möchte. Um 1500 stellten bedeutende Entdeckungen in den Naturwissenschaften, der Geographie und der Astronomie die alten Weltbilder auf den Kopf.

 

  • 1434  Portugal holte Gold, Elfenbein und Sklaven bis 1482 – bis hin zum Kongo-Delta.
  • 1488  Bartolomeu Dias (1450-1500) erreicht das afrikanische Kap der Guten Hoffnung.
  • 1492  Christoph Columbus (1451-1506) landet auf den Bahamas, mit der zweiten Reise
  • 1493-1496 kommen die ersten Siedler in die Amerikas
  • 1494  Vertrag von Tordesillas – Aufteilung der Welt zwischen Spanien und Portugal
  • 1497  John Cabot (1450-1498) erreicht Neufundland. 
  • 1498  Christoph Columbus sichtet Venezuela
  • 1513  Vasco Nunez de Balboa (1475-1517) sieht als erster Europäer den Pazifik
  • 1519  – 1522 Ferdinand Magellan (1480-1521) – 1. Weltumsegelung
  • 1524 – 1527 Pedro de Alvarado (1485-1541) unterwirft in Guatemala und mehrere Maya-Staaten
  • 1531 – 1535 Francisco Pizarro (um 1478–1541) erobert das Inka-Reich
  • 1576 – 1611 erfolglose Suchen nach der Nord-Passage nach Asien
  • 1577  – 1580 Francis Drake (um 1540–1596) umsegelt als 2. Mensch die Welt. (Elisabeth 1. 1533 – 1603)

 

Eine besondere Erfindungen, die in diese Zeit fällt, war der Buchdruck von Johannes Gutenberg (1400-1468). Zwischen 1452 und 1454 entstand die fast 1.300 Seiten starke, zweibändige Gutenberg-Bibel.Diese Erfindung ist vergleichbar mit der Einführung des Internets.

 

Durch Handel gewannen die Hanse, die Fugger und Medici  zunehmend Einfluß in der Gesellschaft. Es entstand ein Bürgertum, wie es das noch nicht gegeben hat.

 

In dieser Zeit lebten und arbeiteten zum Beispiel

  • 1452 – 1519 Leonardo da Vinci
  • 1469 – 1527 Nicolo Machiavelli
  • 1471 – 1528 Albrecht Dürer
  • 1473 – 1543 Nikolaus Kopernikus
  • 1475 –  1564 Michelangelo Buonarotti
  • 1483 – 1520 Raffael
  • 1491 –  1547 Heinrich VIII.
  • 1500 – 1558 Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, zitierte Luther zum Reichstag nach Worms

 

Maler haben uns ein Bild dieser Zeit und ihren Zeitgesit vermittelt.    

  • Lucas Cranach der Jüngere    1515 – 1586 porträtierte Martin Luther
  • Hans Holbein der Jüngere       1497 – 1524 porträtierte Erasmus von Rotterdam
  • Pieter Bruegl der Ältere            1525 – 1569 malte das bäuerliche Leben
  • Hieronimus Bosch                    1450 – 1516 malte Visionen aus dem Sintflut, Jenseits, Hölle,

 

Erasmus von Rotterdam

 

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Desiderius Erasmus von Rotterdam wurde geboren am 28.10.1466 in Rotterdam. Er starb im Alter von 70Jahren in Basel am  12.07.1536. Erasmus war Theologe, Philologe, Philosoph und Autor zahlreicher Bücher, die schon zu seiner Lebenszeit in ganz Europa gelesen wurden. Er war einer der größten Gelehrten seiner Zeit, lebte und arbeitete als Kosmopolit in England, Italien, Frankreich, Deutschland und der Schweiz.

 

Als der bedeutendste europäischedes 16. Jahrhunderts war sein Hauptanliegen wa die Durchsetzung religiöser Toleranz und die Synthese von Antike und Christentum zu einem christlichen Humanismus. Mit seiner Bibelübersetzung ins Griechische legte der „doctor universalis“, das Fundament für die Reformation und ebnete den Weg für Martin Luther. Erasmus gilt neben Philipp Melanchthon, als der bekannteste Humanist seiner Zeit. Wobei Melanchthon auf der Seite von Martin Luther stand. 

 

Als bedeutendster europäischer Renaissance-Humanismus des 16. Jahrhunderts war sein Hauptanliegen die Durchsetzung religiöser Toleranz und die Synthese von Antike und Christentum zu einem christlichen Humanismus. Mit seiner Bibelübersetzung ins Griechische legte der „doctor universalis“ den Grundstein für die Reformation und ebnete Martin Luther den Weg. Er setzte sich zwar für Reformen in der Kirche ein, aber er lehnte die radikalen Ideen Martin Luthers strikt ab.

 

Erasmus gilt neben Philipp Melanchthon als der bedeutendste Humanist seiner Zeit. Melanchthon stand auf der Seite Martin Luthers. Als Martin Luther von Karl V. 1521 nach Worms zum Reichstag zitiert wurde, um seine 95 Thesen zur Reform der katholischen Kirche zu widerrufen, war Erasmus gebeten worden, quasi als Richter dem Verfahren vorzustehen. Aber das ging ganz und gar gegen die Natur des Erasmus. Er entzog sich dem Ruf und „floh“ nach England.

 

„Hier stehe ich und kann nicht anders! 

Daher kann und will ich nichts widerrufen,

weil wider das Gewissen etwas zu tun –

weder sicher noch heilsam ist.

Gott helfe mir, Amen!“ 

 

Luthers Berufung auf die Bibel und das individuelle Gewissen gelten als der zentrale Moment des Auftritts von Martin Luther vor dem Reichstag und ist ein Schlüssel-Ereignis der Reformation. Martin Luther (1483 – 1546) legte seine Bibel-Übersetzung in deutscher Sprache 1534 vor.

 

Ich möchte diese zwei Bücher vorstellen:

 

Erasmus von Rotterdam – Lob der Torheit

Kritik an der katholischen Kirche war zur Zeit der Inquisition lebensgefährlich. Es war ein geradezu genialer Schachzug von Erasmus, seine Kritik und Kommentare vor allem an der katholischen Kirche durch die personifizierte Torheit vortragen zu lassen. Das Buch ist als Stegreifrede geschrieben, die Torheit lobt sich selbst. So kann sich Erasmus hinter der Torheit verstecken. Offenbar hat die Inquisition darauf verzichtet, die Torheit wegen ihrer Kritik auf den Scheiterhaufen zu bringen. Leider, deshalb wie auch heute noch mit ihr zu tun!

 

Es lässt sich nicht immer genau sagen, welche Passagen der Rede tatsächlich die Meinung des Autors wiedergeben und welche nur scherzhaft dem Torheit in den Mund gelegt sind. Man kann wohl davon ausgehen, dass der größte Teil der Kritik an der Kirche die Ansichten des Erasmus widerspiegelt; die Schmähungen der Weisen und Gelehrten scheinen dagegen eher augenzwinkernde Selbstironie zu sein.

 

Und so macht sich die Torheit daran, so ziemlich alles und jeden zu loben! Mit großem Vergnügen beim Lesen dieser satirischen Loblieder stellt man leicht fest, dass sich die Umstände der Menschen von damals zu heute enorm geändert haben, nicht jedoch die Natur der Menschen. Ganz selbstbewusst sagt die Torheit, dass SIE das Leben der Menschen fröhlicher und lebenswerter macht. 

 

Die Weisheit ist der FEIND eines glücklichen und erfüllten Lebens – wer jung und vergnügt bleiben will, sollte sich lieber an die Narrheit halten, denn ohne Torheit funktioniert nichts!

 

So argumentiert die Torheit, dass die Ehe ohne den Einfluss der Torheit gar nicht funktionieren würde. Kabale und Liebe, Schmeichelei, Täuschung und Humor sind die närrischen Gründe, warum es überhaupt zwischen Mann und Frau klappt.

 

Die Torheit lobt unter anderem Gelehrte, Kaufleute, Fürsten, Lehrer, Juristen, Philosophen. Besonders auf die Theologen und Mönche hat es die Torheit abgesehen. Es ist fraglich, ob einer der Apostel in den Ausführungen der Theologen seinen eigenen Glauben wiedererkennen würde. Genauso von Torheit besessen sind die Mönche, die kaum etwas über die christliche Lehre wissen und sich nur selten an die Gelübde halten, die sie in ihrem Orden abgelegt haben. Peinlichst genau achten sie jedoch auf die Einhaltung jeder kleinen zusätzlichen Regeln, die die Kleiderordnung und der Schlaf- und Essenszeiten betreffen. Letztendlich hat keine dieser Regeln, Verordnungen, Auslegungen oder Spitzfindigkeiten noch irgendetwas mit dem einzigen Gesetz zu tun, das Christus begründet hat: dem Gesetz der Nächstenliebe.

 

Das Lob der Torheit 1509 geschrieben und ist de Freund und Lordkanzler Thomas Morus gewidmet. Seine Gesellschafts-Kritik wurde aber innerhalb kürzester Zeit ein echter Verkaufsschlager in ganz Europa, dank des neuen Buchdruck-Verfahrens. Dieses Buch ist eines der einflussreichsten Bücher der Renaissance. Es ist aber nicht nur eine Satire, sondern auch eine religiöse Streitschrift und Klage über skandalösen Zustände innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche.

 

Keiner kann sich von Widersprüchlichkeiten, Fehlern und Irrtümern lossprechen, die Narrheit ist wesentlicher Teil des Menschseins. Weil Erasmus mit scharfem Blick – immer aber auch mit einem Augenzwinkern – die Torheiten seiner Mitmenschen hinterfragt, ist dieses Buch seit Jahrhunderten eine lesenswerte und äußerst vergnügliche Lektüre!

 

 

Erasmus von Rotterdam – Vertrauliche Gespräche

 

Im Diogenes Verlag hat Kurt Steinmann 20 von ca. 70 vertraulichen Gesprächen neu übersetzt herausgegeben. Soldaten, Ehefrauen, Bettler, Kaufleute und andere befinden sich im Dialog miteinander über ihnen naheliegenden Themen, wie Moral und Lebensführung.

 

Auch Erasmus hat den Leuten „auf’s Maul“ geschaut. Anderes als Luther schrieb EvR auf lateinisch.  Ich habe den Eindruck, dass hier tatsächliche, reale Personen miteinander sprechen. Zwischen den Zeilen erfährt man zum Teil vergnügliches, wie z. B. über Gasthäuser in Europa und was für Speisen und Getränke man dort aufgetischt bekommt.

 

Jungen, ehewilligen Menschen empfehle ich die Dialoge  „Die Gattin, die über die Ehe lästert“ ,„Der Abt und die gebildete Frau“ und „Der Jüngling und die Hure“!  Wobei ich mir die Frage stelle, wie ein unverheirateter Geistlicher so kenntnisreich davon schreiben konnte.

 

In einem ganz anderen Ton ist „Die Soldaten-Beichte“ siehe Seite 17 – 19 geschrieben. Hier kommt der Pazifismus und der Humanismus des Erasmus zum Ausdruck! 

 

Alle angesprochenen Themen wie auch z. B. „Der Frauen-Senat“ sind im Grunde zeitlose Themen. Das macht auch dieses Buch, das fast 500 Jahre alt ist, so lesenswert.

 

Stefan Zweig

Nun möchte ich Stefan Zweigs Biographie „Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam“ und „Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers erschien “ vorstellen. Bevor ich auf das Buch eingehe, möchte ich kurz die Biographie von Stefan Zwei eingehen.

 

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Stefan Zweig wurde geboren am 28.11.1881 in Wien und starb am 23.02.1942 in Petropolis, Brasilien.

  • Triumph oder Tragik des Erasmus von Rotterdam  erschein 1934
  • Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers erschien 1942

Zweig war promovierter Philosoph, britisch-österreichischer Schriftsteller, Übersetzer und vor allem Pazifist und Humanist. Stefan Zweig lebte ein kosmopolitisches Lebe. Er bereiste vor dem 1. Weltkrieg u.a  nach Indien, USA. 1928 traft er in Russland Maxim Gorki, der veranlasste, dass Zweigs Werke auf russisch übersetzt wurden. Zweig schrieb 1933 das Libretto „Die schweigsame Frau“ von Richard Strauss. Er lebte lange Zeit in Salzburg, wo ihn die geistige Elite Europas besuchte.1935 bei der Bücherverbrennung durch die Nazis, waren auch seine Werke dabei. Von 1934 – 1940 lebte Zweig in London und nahm auch die britischen Staatsbürgerschaft an.

 

Die Zerstörung seiner „geistigen Heimat Europa“ hatte ihn für sein Empfinden entwurzelt, seine Kräfte seien „durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft“. In seinem Abschiedsbrief 192 hatte Zweig geschrieben, er werde „aus freiem Willen und mit klaren Sinnen“ aus dem Leben scheiden.

 

Zweigs Entscheidung, sein Leben zu beenden, stieß nicht überall auf Verständnis, zumal seine materielle Existenz, anders als die vieler Schriftstellerkollegen im Exil, gesichert war. Trotz allem wurde Stefan Zweig zu einem Symbol für den Intellektuellen im 20. Jahrhundert auf der Flucht vor der Gewaltherrschaft

 

Thomas Mann schrieb 1952 zu Zweigs zehntem Todestag über dessen Pazifismus: „Es gab Zeiten, wo sein radikaler, sein unbedingter Pazifismus mich gequält hat. Er schien bereit, die Herrschaft des Bösen zuzulassen, wenn nur das ihm über alles Verhaßte, der Krieg, dadurch vermieden wurde. Das Problem ist unlösbar. Aber seitdem wir erfahren haben, wie auch ein guter Krieg nichts als Böses zeitigt, denke ich anders über seine Haltung von damals – oder versuche doch, anders darüber zu denken.“

 

Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam

 

Wie der der Titel des Buches schon verrät, geht es hier um den Lebensweg des Erasmus. Dieses Buch kann einen aufgrund der schönen Sprache Zweigs erfreuen und aufgrund der diskreten psychologischen Beschreibung des Protagonisten, zu interessanten Erkenntnissen verhelfen.

 

Das Ende des 15. Jahrhundert ist nicht nur die Zeit großartiger Entdeckungen in den Wissenschaften und der Welterkundung, sondern auch die Zeit der Inquisition und Pest. Das neue Welt-Verständnis, das aufkommende Bürgertum verlangten nach Emanzipation gegenüber den höheren Ständen und einer Reformation der katholischen Kirche. Martin Luther, Johannes Calvin, Huldrych Zwingli sind die bekannten Namen der Reformation. Die stillen, klugen wie Erasmus von Rotterdam oder auch Philipp Melanchthon werden dabei häufig übersehen.

 

Der zu seiner Lebenszeit sehr berühmte und viel publizierte Erasmus war um das Ideal eines übernationalen Humanismus (Die Klage des Friedens 1517) und um Frieden und Ausgleich bemüht. Seine Ideen wurden später von Voltaire, de Spinoza, Lessing und Schiller aufgegriffen. Immer wieder kommt Erasmus in seinem Werk darauf zu sprechen, dass es zwei Friedens-Definitionen gibt: der Nicht-Krieg-Zustand oder „negativen Frieden“, der unmenschliche Verhältnisse nicht ausschließt und der „positive Frieden“, in dem soziale Gerechtigkeit und die Menschenrechte mit ihren Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verwirklicht werden.

 

Für Erasmus gibt es nur eine Definition: er schließt Krieg kategorisch aus und Brüderlichkeit ein  – im Sinne der Evangelien :  „Kaum kann je ein Friede so ungerecht sein, dass er nicht besser wäre als selbst der gerechteste Krieg“.

 

Zweig beschreibt in Triumph und Tragödie sehr anschaulich und nachvollziehbar, dass Erasmus und Martin Luther eine Reformation der katholischen Kirche wollen. So entsteht ganz nebenbei ein Porträt Luthers. Stefan Zweig hält sich nicht allzu lange auf mit den theologischen Differenzen der Geistlichen, also mit der bis heute anhaltenden Debatte um die Bedeutung des freien Willens für den Menschen. Deutlich wird aber, dass Erasmus den weltlichen Machtanspruch der katholischen Kirche ablehnt.

 

Sie stehen als Kontrahenten in ihrer so gegensätzlichen geistigen und körperlichen Physis gegenüber für die Zweig immer wieder neue, bildhafte Wendungen findet; Luther ist der Blutmensch, Erasmus der Geistesmensch. Erasmus will eine spirituelle Erneuerung von Kirche und Theologie, Martin Luther will eine Revolution des Glaubens. Der stets abwägende Erasmus ist zögerlich und er verpasst, so Zweig, den Ruf der Weltgeschichte, beim Reichstag zu Augsburg 1530 als Friedensstifter aufzutreten, die Spaltung der Kirche zu verhindern.

 

Wenn man zwischen den Zeilen liest, spürt man auch die eigene Schwierigkeit und Selbstzweifel Zweigs, sich als Humanist in seiner Welt zu positionieren und zu agieren. Das ist in sofern bedeutungsvoll, als dass dieses Buch 1934 erschien und Zweig das erste mal Deutschland verließ, um nach London zu emigrieren. Von da an bleibt Zweig wie Erasmus ein Geistesmensch, der nirgends und doch überall zu Hause ist.

 

Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers

 

Das Buch ist Geschichtsbuch und Biographie zugleich. Zweig wurde 1881 in Wien geboren. Er erlebte eine beispiellose Abfolge von Katastrophen (Erster Weltkrieg, Zerfall der Donaumonarchie, Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland, Vertreibung der Juden, Zweiter Weltkrieg), die die Welt veränderten. Nichts ist mehr, wie es war. Aus der Sicht eines klugen Zeitzeugen und Opfers beschreibt er, wie schwierig es war, sich zu orientieren bzw. immer wieder neu zu orientieren.

 

Die Art und Weise, wie er darüber nachdenkt, gehört wohl zum Beeindruckendsten, was ich über diese Zeit gelesen habe. Denn man erfährt, wie all das, was wir aus den Geschichtsbüchern kennen, auf einen einzelnen Menschen in dieser Zeit gewirkt hat.

 

Bis zum 1. Weltkrieg war Zweig durch Europa, Amerika, Afrika Asien gereist. Er war interessiert an Menschen, deren Kunst, Kultur und Wissenschaft. In seinen Erinnerungen spürt man die Hoffnung dieser Zeit, die eine Zeit des Aufbruches hätte werden können. Stattdessen verfällt Deutschland dem Wahn der Nazis und des Rassismus. Aus Deutschland vertrieben nimmt sich Stefan Zweig zusammen mit seiner 2. Frau Lotta am 23.02.1942 – also vor fast genau 80 Jahren in Petropolis, Brasilien das Leben.

 

Es ist nicht der Blick eines Historikers, sondern der eines begnadeten Schriftstellers auf seine Zeit. Wir lesen, was die Menschen fühlten, was sie dachten. Wir lesen von ihren Hoffnungen und Ängsten. Ich komme leicht zu dem Schluss, dass diese Zeit unserer Gegenwart sehr ähnlich ist.

 

Auch wir müssen heute klug Stellung beziehen – Die große Frage ist, als Geistesmensch oder als Blutmensch!? Wie können wir den positiven Frieden verwirklichen?

 

 

 

PS: Dass es 2017 zur Gründung der Desiderius-Erasmus-Stiftung durch die AFD kommen konnte, ist für mich ein Zeichen, dass wir als Gesellschaft nicht aufgepasst haben.

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