14.02.2023 Bologna

Einer der beiden Torre della Garisenda droht seit Jahrhunderten umzukippen, wie sein Kollege in Pisa. Aber zur Ehrenrettung kann man feststellen, dass es auch eine Menge geradegewachsener Türme in Italien gibt.

Ich stelle mir vor, Marcel Reich-Ranicki liest Goethes Notiz vom 18.10.1786:

„Zuerst also die Cäcilia von Raffael! Es ist, was ich zum voraus wußte, nun aber mit Augen sah: er hat eben immer gemacht, was andere zu machen wünschten, und ich möchte jetzt nichts darüber sagen, als daß es von ihm ist. Fünf Heilige nebeneinander, die uns alle nichts angehen, deren Existenz aber so vollkommen dasteht, daß man dem Bilde eine Dauer für die Ewigkeit wünscht, wenn man gleich zufrieden ist, selbst aufgelöst zu werden.“

Sie ist die Patronin der Kirchenmusik. Ich frage mich, warum sie die Instrumente zu ihren Füßen nicht vor der Zerstörung bewahrt hat.

Immer wieder versetzen mich die überlieferten Hagiographien in Erstaunen. Immer wieder wird von Mord und Totschlag berichtet, wie in düsteren skandinavischen Krimis. Gruselig!

„Meinen Tag habe ich bestmöglichst angewendet, um zu sehen und wiederzusehen, aber es geht mit der Kunst wie mit dem Leben: je weiter man hineinkommt, je breiter wird sie. An diesem Himmel treten wieder neue Gestirne hervor, die ich nicht berechnen kann und die mich irremachen: die Carracci, Guido, Dominichin, in einer spätern glücklichern Kunstzeit entsprungen; sie aber wahrhaft zu genießen, gehört Wissen und Urteil, welches mir abgeht und nur nach und nach erworben werden kann…Ein großes Hindernis der reinen Betrachtung und der unmittelbaren Einsicht sind die meist unsinnigen Gegenstände der Bilder, über die man toll wird, indem man sie verehren und lieben möchte…Immer Leiden des Helden, niemals Handlung, nie ein gegenwärtig Interesse, immer etwas phantastisch von außen Erwartetes. Entweder Missetäter oder Verzückte, Verbrecher oder Narren, wo denn der Maler, um sich zu retten, einen nackten Kerl, eine hübsche Zuschauerin herbeischleppt, allenfalls seine geistlichen Helden als Gliedermänner traktiert und ihnen recht schöne Faltenmäntel überwirft. Da ist nichts, was einen menschlichen Begriff gäbe! Unter zehn Sujets nicht eins, das man hätte malen sollen, und das eine hat der Künstler nicht von der rechten Seite nehmen dürfen.“

Das wirft noch einmal die Frage nach der künstlerischen Freiheit oder die Freiheit des Künstlers auf.

Die Leiden der Heldin oder des Helden wurden immer dargestellt, aber nur selten in dem Moment, der der Handlung vorausging.Aus psychologischer Sicht ist es der Moment, der eine interessante Spannung erzeugt und mich fesselt.

Dieses Bild von Guido Reni hat mich mit seinen dynamisch Handlungen für eine Weile in seinen Bann gezogen. Im Zentrum des Bildes steht der tödliche Dolch. Einige Frauen versuchen zu fliehen, um ihre Söhne zu schützen, andere versuchen, den Mord zu verhindern, und eine trauert um ihre ermordeten Söhne.

Neben der technisch meisterhaften Ausführung des Bildes finde ich die Dramaturgie bzw. Inszenierung des Bildes großartig. Es ist wie eine Filmszene, in der Absicht, Ausführung und Ergebnis in einem einziges Bild komprimiert wurde.

Verkündigung von Annibale Carrecci
Verkündigung von Annibale Carrecci

Ich habe eine besondere Vorliebe für die Szene der Verkündigung, dass heißt für den Moment, in dem Maria erfährt, dass sie schwanger ist. Also für diesen einzigartigen Moment, in dem eine Frau erfährt oder erkennt, dass sie Mutter wird. Es gibt nur wenige vergleichbare Momente im Leben, wo eine Erkenntnis ALLES verändert!

Das Bild von Carrecci erscheint mir realistischer und konzentriert sich ohne Ablenkung auf das eigentliche Geschehen. Deswegen mag ich es lieber! Die Geschichte hätte auch anders ausgehen können, wie Goethe in der Gretchen-Tragödie in seinem „Faust“ zeigt – und dann gäbe es kein Weihnachten!

Es hat mir sehr viel Freude gemacht zu sehen, wie Kinder an die Kunst herangeführt werden. In der Schule habe ich so einen Kunstunterricht leider nicht gehabt. Die Kinder waren ohne Ablenkung bei der Sache und hatten offensichtlich großes Interesse an den Ausführungen ihrer Lehrerin, die mit Begeisterung bei der Sache war. Schiller wäre von diesem Unterricht begeistert gewesen, der auch ein Gefühl von Ästhetik schult.

Die Universität Bologna gilt als die älteste Universität Europas. Sie wurde vermutlich 1088 gegründet. Berühmte Professoren unterrichteten hier, und einige Studenten übertrafen später ihre Lehrer. Die Türen der Universität hier in Bologna standen offen. Ich besichtigte die prächtig ausgestatteten Räume, die eher an ein Schloss als an eine Schule erinnerten.

Im Sinne einer Erweiterung des eurozentristischen Blicks möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, dass es im nord-indischen Nalanda bereits im 5. Jahrhundert unserer Zeit eine buddhistische Universität mit 10.000 Studenten gab.

Dort lehrte der große buddhistische Philosoph Nargajuna, der in etwa die Stellung von Sokrates, Platon und Aristoteles in einer Person vereinigt. Ich konnte die Ruinen dieser Universität 2009 besichtigen, als auf einer Reise zu den Orten in Nordindien war, die mit dem Leben des Buddha in Verbindung stehen.

Il momento ideale per una siesta!  

So viel Kunst macht hungrig!

Die 15 Grad fühlen sich im Sonnenschein wärmer an, und so esse ich unter den Arkaden gegenüber der Basilika das San Petronio auf der Piazza Maggiore. Sie ist die fünftgrößte Kirche der Welt, aber Größe ist nicht alles!

Bis zur Öffnung der Basilika besuchte ich die Biblioteca Salaborsa, die schöne öffentliche Bibliothek von Bologna. Dort gibt es übrigens leckeres Essen für wenig Geld!

Das Rathaus im Palazzo Comunale beherbergt auch die Städtische Kunstsammlung. Auch hier gab es beeindruckende Räume und Kunstwerke zu sehen.

Ich wäre heute auch noch ins Archäologische Museum gegangen, das zur Zeit Malereien aus Pompeji zeigt. Aber das Museum hat dienstags geschlossen, und so bin ich gegen 16 Uhr ins Hotel zurückgekehrt. Dort habe ich meine Eindrücke in einer längeren Meditation gesammelt und beschlossen, mich für den Rest des Tages auszuruhen.

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