04.03.2023 Bagheria – Palermo – Monreale – Bagheria

Da der Fahrkartenautomat nicht funktionierte und ich vergeblich auf mein Wechselgeld wartete, kam ich nicht rechtzeitig zum Zug. Die Züge nach Palermo fahren samstags nur stündlich. Also setzte ich mich wieder in das Auto, mit dem ich bis zum Bahnhof gefahren bin, und gab in das Navigationsgerät als Ziel ein: Le Catacombe dei Cappuccini. Ich parkte das Auto außerhalb des Stadtzentrums in einem Wohngebiet. Durch eines der alten Stadttore betrat ich nach einem etwa 30-minütigen Fußweg die Altstadt von Palermo und ging zu den Katakomben.

In diesen Katakomben Le Catacombe dei Cappuccini werden 8.000 mumifizierte Menschen auf besondere Weise aufbewahrt. Anderswo habe ich Beinhäuser gesehen, in denen die Schädel fein säuberlich übereinander gestapelt sind. In anderen Räumen wurden die Beine oder Arme aufbewahrt. In Portugal besuchte ich einmal die Knochenkapelle Capela dos Ossos von Evor und Faro. Die gesamte Innenausstattung bestand aus Knochen.

Hier ist das anders. Die Mumien in Le Catacombe dei Cappuccini sind vollständig bekleidet und stehen an den Wänden der Gänge, durch die man geht.

Nach Geschlechtern getrennt stehen in der Regel die Männer, während die Frauen liegen. Immer wieder sind auch die Körper von Kindern zu sehen.

Die Mumifizierung ist sehr unterschiedlich „gelungen“.

Die Besichtigung dauert ca. 30 Minuten und ist eine gute Meditation über die Vergänglichkeit oder Grundlage für Alpträume.

Halte einen Moment inne, und bedenke, dass Du diesen Zustand erreichen wirst.

Nach der Mediation ließ ich das Auto auf dem Parkplatz der Katakomben stehen und machte mich zu Fuß auf den Weg zur Cappella Palatina.

Der Weg führt mich durch ein sehr ärmliches Viertel der Stadt. Selbst an einem Samstagmorgen wirkt es hier düster und unheimlich, oder ist das der Nachhall der Kapuziner? 😉  

Palermo hat wie alle Städte mehr als nur ein Gesicht.

Charmant finde ich hier die beobachtete WhatsApp-Gruppe, die ohne Handy auskommt. Es ist etwas, das man überall beobachten kann, das nachbarschaftliche Gespräch. Auf den Straßen und Märkten stehen die Menschen immer zusammen und unterhalten sich.

Ich ging durch das alte Stadttor Porta Nuova zum Palazzo Reale. Dort ist auch der Eingang zur Cappella Palatina, die ich besichtigen wollte. Ich kam nicht durch die Sicherheitskontrolle, weil ich ein Taschenmesser dabei hatte und es nicht wegwerfen wollte. Na gut, dann besuche ich die Kapelle eben ein anderes Mal.

Eine Alternative ist die Cattedrale Maria SS Assunta.

Dort gibt es eine Kapelle, die der Heiligen Rosalia geweiht ist und deren Altar ganz aus Silber besteht.

Die Heilige ist die Schutzpatronin Palermos.

Einige Familien sitzen dort im Gebet versunken.

Religion wird hier nicht nur zur Schau gestellt, sondern auch gelebt.

Der Rosalia-Altar, der in einer Seitenkapelle steht, ist aus purem Silber gearbeitet. Viele Menschen beten kniend vor ihm.

Ein weiteres Schmuckstück der ansonsten eher schlichten Kirche ist die Deckengestaltung, die einen Blick in den Himmel zu gewähren scheint.

Es hatte wieder angefangen zu regnen und ich hatte keine Lust durch den Regen zum Auto zu laufen. Ich nahm mir ein dreirädriges Taxi, wie ich es aus Indien kenne, um mich zu meinem Auto bringen zu lassen. Der Fahrer erzählte mir, dass es nur 25 davon gibt und die nur für die Altstadt zugelassen sind. Geschickt schlängelte er sich durch die engen Gassen zurück zu den Katakomben.

Mein nächstes Ziel war Monreale. Ein kleines Dorf auf einem 300 m hohen Hügel am Rande der Ebene von Palermo. Goethe beschrieb in seinem Tagebuch den Blick über diese Ebene, die damals noch voller Zitronenbäume war. Die 660.000 Einwohner der Stadt brauchen Platz und die Zitronen mussten weichen.

Palermo, Dienstag, den 10. April 1787

Heute fuhren wir bergauf nach Monreale. Ein herrlicher Weg, welchen der Abt jenes Klosters zur Zeit eines überschwenglichen Reichtums angelegt hat; breit, bequemen Anstiegs, Bäume hie und da, besonders aber weitläufige Spring- und Röhrenbrunnen, beinah pallagonisch verschnörkelt und verziert, desungeachtet aber Tiere und Menschen erquickend.

Das Kloster San Martin, auf der Höhe liegend, ist eine respektable Anlage. Ein Hagestolz allein, wie man am Prinzen Pallagonia sieht, hat selten etwas Vernünftiges hervorgebracht, mehrere zusammen hingegen die allergrößten Werke, wie Kirchen und Klöster zeigen.

Doch wirkten die geistlichen Gesellschaften wohl nur deswegen so viel, weil sie noch mehr als irgendein Familienvater einer unbegrenzten Nachkommenschaft gewiß waren.

In der Kathedrale von Monreale befindet sich der größte Mosaikzyklus Europas, er ist 6.340 Quadratmeter groß.

Ich wünsche mir, dass die Fotos den überwältigenden Eindruck vermitteln können.

Mittags mußten wir die Kirche verlassen. Ich nutzte die Zeit für ein ausgiebiges Mittagessen. Bevor ich Monreale verließ sah ich mir noch den schönen Kreuzgang an, den ich schon vom Dach der Kathedrale aus gesehen hatte.

Alle 228 Doppelsäulen sind individuell gestaltet. Was für eine unaufdringliche Pracht – auf den ersten Blick, die sich erst auf dem zweiten Blick in seiner Vielfalt enthüllt.

Jede Säule ist individuell gestaltet. Es gibt viele kleine Geschichten zu entdecken. Unter anderem auch eine Übungsanleitung für eine fortgeschrittene Yogis!

Zurück in Bagheria freute ich mich auf den nächsten Besichtigungstermin, weil ich hier noch zwei weitere Tagebucheinträge von Goethe präsentieren kann, deren Lektüre mir sehr viel Spaß gemacht hat.

In Bagheria konnte ich noch die Villa Palagonia besichtigen. Der begeisterte Schöngeist Goethe, der auf der Suche nach den Idealen der griechischen und römischen Kunst war, war am 09.04.1787 Gast des Fürsten Palagonia und erlitt dort einen ästhetischen Nervenzusammenbruch.

Ich stelle die lesenswerte und komische Tagebuchnotiz an das Ende dieses Tagesberichts, weil sie akurat beschreibt was Goethe gesehen hat und seine Gedanken dazu.

Auch hier stelle ich mir vor, dass Marcel Reich-Ranicki den Text spricht. Nach dem Besuch kann ich bestätigen, dass die Beschreibung zutrifft.

Die Decke des Ballsaals ist komplett verspiegelt. Es muss wunderschön ausgesehen haben, als der Saal von Kerzen erleuchtet war, die sich in den vielen Spiegeln reflektierten.

Der Fürst Palagonia mag in Kunstdingen einen sehr eigenwilligen Geschmack gehabt haben, aber er hatte auch Herz. Goethe notiert am 12.04.1787 folgende Begebenheit:

Palermo, Donnerstag, den 12. April 1787

Heute am Abend ward mir noch ein Wunsch erfüllt, und zwar auf eigene Weise. Ich stand in der großen Straße auf den Schrittsteinen, an jenem Laden mit dem Kaufherrn scherzend; auf einmal tritt ein Laufer, groß, wohlgekleidet, an mich heran, einen silbernen Teller rasch vorhaltend, worauf mehrere Kupferpfennige, wenige Silberstücke lagen. Da ich nicht wußte, was es heißen solle, so zuckte ich, den Kopf duckend, die Achseln, das gewöhnliche Zeichen, wodurch man sich lossagt, man mag nun Antrag oder Frage nicht verstehen, oder nicht wollen. Ebenso schnell, als er gekommen, war er fort, und nun bemerkte ich auf der entgegengesetzten Seite der Straße seinen Kameraden in gleicher Beschäftigung.

Was das bedeute, fragte ich den Handelsmann, der mit bedenklicher Gebärde, gleichsam verstohlen, auf einen langen, hagern Herrn deutete, welcher in der Straßenmitte, hofmäßig gekleidet, anständig und gelassen über den Mist einherschritt.

Frisiert und gepudert, den Hut unter dem Arm, in seidenem Gewande, den Degen an der Seite, ein nettes Fußwerk mit Steinschnallen geziert: so trat der Bejahrte ernst und ruhig einher; aller Augen waren auf ihn gerichtet.

»Dies ist der Prinz Pallagonia«, sagte der Händler, »welcher von Zeit zu Zeit durch die Stadt geht und für die in der Barbarei gefangenen Sklaven ein Lösegeld zusammenheischt. Zwar beträgt dieses Einsammeln niemals viel, aber der Gegenstand bleibt doch im Andenken, und oft vermachen diejenigen, welche bei Lebzeiten zurückhielten, schöne Summen zu solchem Zweck. Schon viele Jahre ist der Prinz Vorsteher dieser Anstalt und hat unendlich viel Gutes gestiftete«

»Statt auf die Torheiten seines Landsitzes«, rief ich aus, »hätte er hierher jene großen Summen verwenden sollen. Kein Fürst in der Welt hätte mehr geleistet.«

Dagegen sagte der Kaufmann: »Sind wir doch alle so! Unsere Narrheiten bezahlen wir gar gerne selbst, zu unsern Tugenden sollen andere das Geld hergeben.«

In der Villa traf ich als einziger Besucher auf ein Fernsehteam von Onda-TV, das über Bagheria berichtete. Sie freuten sich, dass ich vor laufender Kamera von meiner Goethe-Reise erzählte. Zum Dank nahmen sie mich mit zu einer weiteren Sehenswürdigkeit von Bagheria, dem Museo Guttuso, das sich in der Villa Catolica befindet. Die Werke von Renato Guttuso konnten wir leider nicht sehen, dafür aber einen Blick in das Multimedialabor „Michele Mancini“ der Universität Palermo werfen. Das ist nach meinem Verständnis eine ähnliche Einrichtung wie „meine“ Hamburg Media School. Das war ein interessantes, ungeplantes Extra für diesen Tag 🙂

Nach einem guten Abendessen und der Erstellung meines Reiseblogs für heute ging ich früh zu Bett. Zum Schluss noch Goethes zweiter Tagebucheintrag, den ich sehr amüsant finde:

Palermo, Montag, den 9. April 1787.

Heute den ganzen Tag beschäftigte uns der Unsinn des Prinzen Pallagonia, und auch diese Torheiten waren ganz etwas anders, als wir uns lesend und hörend vorgestellt. Denn bei der größten Wahrheitsliebe kommt derjenige, der vom Absurden Rechenschaft geben soll, immer ins Gedränge: er will einen Begriff davon überliefern, und so macht er es schon zu etwas, da es eigentlich ein Nichts ist, welches für etwas gehalten sein will. Und so muß ich noch eine andere allgemeine Reflexion vorausschicken, daß weder das Abgeschmackteste noch das Vortrefflichste ganz unmittelbar aus einem Menschen, aus einer Zeit hervorspringe, daß man vielmehr beiden mit einiger Aufmerksamkeit eine Stammtafel der Herkunft nachweisen könne.

Jener Brunnen in Palermo gehört unter die Vorfahren der Pallagonischen Raserei, nur daß diese hier, auf eignem Grund und Boden, in der größten Freiheit und Breite sich hervortut. Ich will den Verlauf des Entstehens zu entwickeln suchen.

Wenn ein Lustschloß in diesen Gegenden mehr oder weniger in der Mitte des ganzen Besitztums liegt und man also, um zu der herrschaftlichen Wohnung zu gelangen, durch gebaute Felder, Küchengärten und dergleichen landwirtschaftliche Nützlichkeiten zu fahren hat, erweisen sie sich haushälterischer als die Nordländer, die oft eine große Strecke guten Bodens zu einer Parkanlage verwenden, um mit unfruchtbarem Gesträuche dem Auge zu schmeicheln. Diese Südländer hingegen führen zwei Mauern auf, zwischen welchen man zum Schloß gelangt, ohne daß man gewahr werde, was rechts oder links vorgeht. Dieser Weg beginnt gewöhnlich mit einem großen Portal, wohl auch mit einer gewölbten Halle und endigt im Schloßhofe. Damit nun aber das Auge zwischen diesen Mauern nicht ganz unbefriedigt sei, so sind sie oben ausgebogen, mit Schnörkeln und Postamenten verziert, worauf allenfalls hie und da eine Vase steht. Die Flächen sind abgetüncht, in Felder geteilt und angestrichen. Der Schloßhof macht ein Rund von einstöckigen Häusern, wo Gesinde und Arbeitsleute wohnen; das viereckte Schloß steigt über alles empor.

Dies ist die Art der Anlage, wie sie herkömmlich gegeben ist, wie sie auch schon früher mag bestanden haben, bis der Vater des Prinzen das Schloß baute, zwar auch nicht in dem besten, aber doch erträglichem Geschmack. Der jetzige Besitzer aber, ohne jene allgemeinen Grundzüge zu verlassen, erlaubt seiner Lust und Leidenschaft zu mißgestaltetem, abgeschmacktem Gebilde den freisten Lauf, und man erzeigt ihm viel zuviel Ehre, wenn man ihm nur einen Funken Einbildungskraft zuschreibt.

Wir treten also in die große Halle, welche mit der Grenze des Besitztums selbst anfängt, und finden ein Achteck, sehr hoch zur Breite. Vier ungeheure Riesen mit modernen, zugeknöpften Gamaschen tragen das Gesims, auf welchem dem Eingang gerade gegenüber die heilige Dreieinigkeit schwebt.

Der Weg nach dem Schlosse zu ist breiter als gewöhnlich, die Mauer in einen fortlaufenden hohen Sockel verwandelt, auf welchem ausgezeichnete Basamente seltsame Gruppen in die Höhe tragen, indessen in dem Raum von einer zur andern mehrere Vasen aufgestellt sind.

Das Widerliche dieser von den gemeinsten Steinhauern gepfuschten Mißbildungen wird noch dadurch vermehrt, daß sie aus dem losesten Muscheltuff gearbeitet sind; doch würde ein besseres Material den Unwert der Form nur desto mehr in die Augen setzen. Ich sagte vorhin Gruppen und bediente mich eines falschen, an dieser Stelle uneigentlichen Ausdrucks; denn diese Zusammenstellungen sind durch keine Art von Reflexion oder auch nur Willkür entstanden, sie sind vielmehr zusammengewürfelt. Jedesmal drei bilden den Schmuck eines solchen viereckten Postaments, indem ihre Basen so eingerichtet sind, daß sie zusammen in verschiedenen Stellungen den viereckigen Raum ausfüllen. Die vorzüglichste besteht gewöhnlich aus zwei Figuren, und ihre Base nimmt den größten vordern Teil des Piedestals ein; diese sind meistenteils Ungeheuer von tierischer und menschlicher Gestalt. Um nun den hintern Raum der Piedestalfläche auszufüllen, bedarf es noch zweier Stücke; das von mittlerer Größe stellt gewöhnlich einen Schäfer oder eine Schäferin, einen Kavalier oder eine Dame, einen tanzenden Affen oder Hund vor. Nun bleibt auf dem Piedestal noch eine Lücke: diese wird meistens durch einen Zwerg ausgefüllt, wie denn überall dieses Geschlecht bei geistlosen Scherzen eine große Rolle spielt.

Daß wir aber die Elemente der Tollheit des Prinzen Pallagonia vollständig überliefern, geben wir nachstehendes Verzeichnis. Menschen: Bettler, Bettlerinnen, Spanier, Spanierinnen, Mohren, Türken, Buckelige, alle Arten Verwachsene, Zwerge, Musikanten, Pulcinelle, antik kostümierte Soldaten, Götter, Göttinnen, altfranzösisch Gekleidete, Soldaten mit Patrontaschen und Gamaschen, Mythologie mit fratzenhaften Zutaten: Achill und Chiron mit Pulcinell. Tiere: nur Teile derselben, Pferd mit Menschenhänden, Pferdekopf auf Menschenkörper, entstellte Affen, viele Drachen und Schlangen, alle Arten von Pfoten an Figuren aller Art, Verdoppelungen, Verwechslungen der Köpfe. Vasen: alle Arten von Monstern und Schnörkeln, die unterwärts zu Vasenbäuchen und Untersätzen endigen.

Denke man sich nun dergleichen Figuren schockweise verfertigt und ganz ohne Sinn und Verstand entsprungen, auch ohne Wahl und Absicht zusammengestellt, denke man sich diesen Sockel, diese Piedestale und Unformen in einer unabsehbaren Reihe, so wird man das unangenehme Gefühl mit empfinden, das einen jeden überfallen muß, wenn er durch diese Spitzruten des Wahnsinns durchgejagt wird.

Der Boden ist größtenteils mit Gras bewachsen. Hier stehen wie auf einem verfallenen Kirchhofe seltsam geschnörkelte Marmorvasen vom Vater her, Zwerge und sonstige Ungestalten aus der neuern Epoche zufällig durcheinander, ohne daß sie bis jetzt einen Platz finden können; sogar tritt man vor eine Laube, vollgepfropft von alten Vasen und anderem geschnörkeltem Gestein.

Das Widersinnige einer solchen geschmacklosen Denkart zeigt sich aber im höchsten Grade darin, daß die Gesimse der kleinen Häuser durchaus schief nach einer oder der andern Seite hinhängen, so daß das Gefühl der Wasserwaage und des Perpendikels, das uns eigentlich zu Menschen macht und der Grund aller Eurhythmie ist, in uns zerrissen und gequält wird. Und so sind denn auch diese Dachreihen mit Hydern und kleinen Büsten, mit musizierenden Affenchören und ähnlichem Wahnsinn verbrämt. Drachen, mit Göttern abwechselnd, ein Atlas, der statt der Himmelskugel ein Weinfaß trägt.

Gedenkt man sich aber aus allem diesem in das Schloß zu retten, welches, vom Vater erbaut, ein relativ vernünftiges äußeres Ansehen hat, so findet man nicht weit vor der Pforte den lorbeerbekränzten Kopf eines römischen Kaisers auf einer Zwerggestalt, die auf einem Delphin sitzt.

Im Schlosse selbst nun, dessen Äußeres ein leidliches Innere erwarten läßt, fängt das Fieber des Prinzen schon wieder zu rasen an. Die Stuhlfüße sind ungleich abgesägt, so daß niemand Platz nehmen kann, und vor den sitzbaren Stühlen warnt der Kastellan, weil sie unter ihren Sammetpolstern Stacheln verbergen. Kandelaber von chinesischem Porzellan stehen in den Ecken, welche, näher betrachtet, aus einzelnen Schalen, Ober- und Untertassen und dergleichen zusammengekittet sind. Kein Winkel, wo nicht irgendeine Willkür hervorblickte. Sogar der unschätzbare Blick über die Vorgebirge ins Meer wird durch farbige Scheiben verkümmert, welche durch einen unwahren Ton die Gegend entweder verkälten oder entzünden. Eines Kabinetts muß ich noch erwähnen, welches aus alten vergoldeten, zusammengeschnittenen Rahmen aneinander getäfelt ist. Alle die hundertfältigen Schnitzmuster, alle die verschiedenen Abstufungen einer ältern oder jüngern, mehr oder weniger bestaubten und beschädigten Vergoldung bedecken hier, hart aneinander gedrängt, die sämtlichen Wände und geben den Begriff von einem zerstückelten Trödel.

Die Kapelle zu beschreiben, wäre allein ein Heftchen nötig. Hier findet man den Aufschluß über den ganzen Wahnsinn, der nur in einem bigotten Geiste bis auf diesen Grad wuchern konnte. Wie manches Fratzenbild einer irregeleiteten Devotion sich hier befinden mag, geb‘ ich zu vermuten, das Beste jedoch will ich nicht vorenthalten. Flach an der Decke nämlich ist ein geschnitztes Kruzifix von ziemlicher Größe befestigt, nach der Natur angemalt, lackiert mit untermischter Vergoldung. Dem Gekreuzigten in den Nabel ist ein Haken eingeschraubt, eine Kette aber, die davon herabhängt, befestigt sich in den Kopf eines knieend betenden, in der Luft schwebenden Mannes, der, angemalt und lackiert wie alle übrigen Bilder der Kirche, wohl ein Sinnbild der ununterbrochenen Andacht des Besitzers darstellen soll.

Übrigens ist der Palast nicht ausgebaut: ein großer, von dem Vater bunt und reich angelegter, aber doch nicht widerlich verzierter Saal war unvollendet geblieben; wie denn der grenzenlose Wahnsinn des Besitzers mit seinen Narrheiten nicht zu Rande kommen kann. Kniepen, dessen Künstlersinn innerhalb dieses Tollhauses zur Verzweiflung getrieben wurde, sah ich zum erstenmal ungeduldig; er trieb mich fort, da ich mir die Elemente dieser Unschöpfung einzeln zu vergegenwärtigen und zu schematisieren suchte. Gutmütig genug zeichnete er zuletzt noch eine von den Zusammenstellungen, die einzige, die noch wenigstens eine Art von Bild gab. Sie stellt ein Pferdweib auf einem Sessel sitzend, gegen einem unterwärts altmodisch gekleideten, mit Greifenkopf, Krone und großer Perücke gezierten Kavalier Karte spielend vor und erinnert an das nach aller Tollheit noch immer höchst merkwürdige Wappen des Hauses Pallagonia: ein Satyr hält einem Weibe, das einen Pferdekopf hat, einen Spiegel vor.“

Verwandte Beiträge

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben