Mit der Brigantine Neptun von Mexiko über den Pazifik – von der Westküste Mexikos über die Galapagosinseln, Osterinsel, Pitcairninseln, Gambier, Tuamotu, Marquesas, Tahiti, Tonga, Fidschi, Marshallinseln bis nach Palau – ist ein Traum, den ich mir zusammen mit 14 weiteren Crewmitgliedern erfüllen möchte. Am 01.04.2025 werden wir die Segel für ein neunmonatiges Abenteuer im Pazifik setzen.

Das Angebot für diesen Segeltörn erhielt ich während der Abschlussarbeit an meinem Buch über einen jüdischen Rechtsanwalt. Nach 16 Monaten intensiver Recherche am Schreibtisch war das Angebot einfach verlockend. Wie so oft folgte ich dem Ruf des Lebens, bewarb mich und buchte als Crewmitglied alle notwendigen Flüge. Ich absolvierte ein Schiffssicherheitstraining, machte einen Erste-Hilfe-Kurs und lud mir Bücher über den deutschen Kolonialismus im Pazifik auf meinen Kindle und sämtliche Werke von Thomas Mann als Hörbücher auf mein iPad, um mich während der Freiwache bei stärkerem Wellengang damit zu beschäftigen.


Um mich auf die Reise vorzubereiten, habe ich mir YouTube-Videos über die Inseln und natürlich den alten Thor Heyerdahl-Film „Kon Tiki“ angesehen und ethnologische Ausstellungen im Museum besucht. Ich lernte eine kleine Drohne zu steuern und machte meine ersten Schritte im Filmschnitt.
Bei einem Team-Call traf ich die anderen Crewmitglieder, mit denen ich mir für ein dreiviertel Jahr zwei Kabinen auf der Neptun teilen werde. Ich freue mich sehr darauf, sie bald kennen zu lernen!

So hätte mein Reisebericht begonnen.
Doch am vergangenen Sonntagabend, den 16.02.2025 kam alles anders. Ich wurde mit akuter Atemnot ins Universitätsklinikum Eppendorf eingeliefert und verbrachte neun Tage auf der Intensivstation. Auf der Beobachtungsstation schaut man mir nun beim Atmen zu.
Drei Viertel der Menschen, die mich hier betreuen, haben ausländische Wurzeln. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass ich ohne ihr großes Engagement diese Krise nicht überlebt hätte.
Mein Blutdruck steigt in ungesunde Höhen, wenn ich daran denke, dass sich diese Menschen in Deutschland nicht wohlfühlen könnten – wegen der Vorurteile und des Hasses, die es hier an manchen Orten gibt. Ein weiterer bewegender Gedanke ist die Tatsache, dass 140 Menschen Blut gespendet haben, um mir zu helfen. Menschen, die ich nicht kenne, mit denen ich aber jetzt auf wunderbare Weise verbunden und dankbar bin. .Die Wellen der Zeit spülen den süßen Traum der Südsee ebenso fort wie den Alptraum der Intensivstation, aber meine Dankbarkeit für das großartige und kompetente Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des UKE sowie der Blutspenderinnen und Blutspender bleibt erhalten.
In den nächsten Tagen werde ich nach Hause fahren, um die Scherben meines Südseetraums aufzuräumen.
Es war wunderbar, vier Monate lang von diesem Abenteuer in der Südsee zu träumen, aber jetzt ist dieser Traum zu Ende – ohne Bedauern. Heißt das, ich habe den Traum nicht genug geliebt? Nein!
Ein Traum ist wie eine Projektion im Kino: Wenn man den Film „Kon Tiki“ sieht und mit Thor Heyerdahl über den Pazifik segelt, taucht man als Zuschauer ganz in die Geschichte ein und vergisst sich selbst. Es wäre aber schon sehr merkwürdig, wenn man nach der Vorstellung seekrank und mit einem Sonnenbrand aus dem Kino käme.

Unglück oder Kummer entstehen, wenn wir die Wahrheiten von Projektion und Leinwand nicht unterscheiden. Bei einer Reise nach Indien kann es leicht passieren, dass wir etwas Zusammengerolltes im Garten für eine Schlange halten und uns zu Tode erschrecken. Im Licht einer Taschenlampe erkennen wir jedoch, dass die vermeintliche Schlange nur ein alter Gartenschlauch ist. Was passiert mit unserer Angst, wenn wir einen Irrtum erkennen, der auf einer falschen Grundlage beruht?
Diese Geschichte hörte ich 1998 von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, als ich ihn zum ersten Mal persönlich traf. Seit 26 Jahren studiere ich die buddhistische Philosophie und meditiere. Dieses Foto ist aus dem Jahr 2014, als wir uns das letzte Mal trafen.
Meditation bedeutet, den Geist zu schulen und etwas zu üben. Ich erinnere mich, dass ich meinen Meditationslehrer fragte, wann man merkt, dass die Meditation funktioniert. Seine Antwort war: „Wenn das Eingeübte den Geist so verändert hat, dass das Eingeübte spontan funktioniert und Du die Projektion als solche erkennst. Dann hast du das Ziel der Meditation erreicht.“ Ich denke, dass er heute mit mir zufrieden wäre.

Bei meinen Runden um die Alster werde ich an die Besatzung der Neptun denken und ihr eine gute Zeit und tolle Erlebnisse wünschen. Ich hingegen freue mich auf einen Sommer mit Erdbeeren, Spargel, Pflaumen und vor allem Kirschen.
Die Besatzung der Neptun wird diese Köstlichkeiten gegen tropische Früchte eintauschen müssen – ich wünsche ihnen trotzdem einen guten Appetit und eine stetige Brise von achtern!

Der Traum war ein Traum, und heute habe ich mich für das Sommersemester an der Universität eingeschrieben, um meine Reise durch die weite Welt des Wissens fortzusetzen: „Einführung in die Religionsphilosophie“ und „Einführung in Public History“.
Neue Ideen und Perspektiven hätte ich natürlich auch gerne auf dem Schiff gesammelt, aber ich freue mich, dass ich das auch zwischen Buchdeckeln und in Hörsälen tun kann.
Damit komme ich zum Schluss für heute. Ich lege mich ein wenig hin und denke über die Geschichte von Zhangzi nach – nicht zuletzt, weil auch Kirschen darin vorkommen. Und die Geschichte geht so:
Zhuangzi, ein berühmter chinesischer Philosoph, träumte eines Nachts, er sei ein Schmetterling, der fröhlich umherflattere, frei von Sorgen und voller Lebensfreude. In diesem Traum erlebte er die Welt aus der Perspektive des Schmetterlings und genoss die Leichtigkeit und Unbeschwertheit des Lebens.
Beim Erwachen fand er sich jedoch wieder in seinem menschlichen Körper wieder und stellte sich die Frage: „Bin ich Zhuangzi, der von einem Schmetterling träumt, oder bin ich ein Schmetterling, der jetzt von Zhuangzi träumt?

PS: Ich werde mir Zeit für die englische Übersetzung meines Buches nehmen und beide Versionen so bald wie möglich veröffentlichen. Ein entsprechender Hinweis wird hier auf der Website zu finden sein.