Um acht Uhr morgens beginnt meine Romanze mit einem gemieteten Fiat 500 – einem Auto, das etwa so viel Hubraum hat wie ein Rasenmäher, aber deutlich mehr Charme. Mit gemütlichen 70 km/h über Straßen zu fahren, die mich sanft durch die Landschaft wiegen, ist ein geradezu meditatives Erlebnis.
Man hat Zeit. Zeit anzuhalten, Zeit zu schauen, Zeit zu staunen.

Meinen erster Halt mache ich in Morecambe, wo sich entlang der endlosen Promenade B&Bs aneinanderreihen wie Perlen an einer Kette – alle mit Meerblick, versteht sich. Hier steht sie, die Statue von Eric Morecambe, 1999 von der Queen höchstpersönlich enthüllt, in seiner charakteristischen „Bring Me Sunshine“-Pose. Mit einem Fernglas um den Hals (er war begeisterter Vogelbeobachter) blickt der Comedian der 1960er und 70er Jahre über die Bucht. Touristen fotografieren sich mit ihm, als wäre er ein alter Freund – was er in gewisser Weise auch ist. Ich kenn ihn noch nicht, aber heute Abend werde ich auf YouTube nach ihm suchen.

Und als es zu regnen begann, musste ich an Oscar Wildes Theaterstück „Lady Windermere’s Fan“ denken. Die Bewegung eines Fächers ähnelt verblüffend der eines Scheibenwischers. Ob Oscar Wildes Lady Windermere ihren Namen tatsächlich von diesem Ort bezieht, bleibt sein Geheimnis. Statt der geplanten romantischen Bootstour oder Wanderung mit Panoramablick gab es Earl Grey Tea und einen Scone mit allem drum und dran. Eine deutsche Touristin ließ sich vom Regen nicht beirren und trällerte, dieser Ort sei einfach „entzüüüüüückend“. Dem war nichts hinzuzufügen.

Das Schöne an Überlandfahrten ist das Unvorhergesehene. Ich bin von den steinalten Zeugnissen europäischer Megalith-Kulturen fasziniert und kann nicht widerstehen, einen Abstecher zum Castlerigg Stone Circle zu machen. Dieser etwa 3000 Jahre v.Chr. errichtete Steinkreis gehört zu den frühesten Britanniens und liegt in einer der schönsten Gegenden des Lake Districts, mit einem Durchmesser von knapp 33 Metern. Hier stehe ich zwischen Steinen, die bereits alt waren, als die Römer noch nicht einmal daran dachten, eine Mauer, den Hadrians Wall, zu bauen. Die Landschaft steht seit 2017 auf der Liste der World Heritage Sites, und stellt einen passenden Rahmen für diesen diesen prähistorischen Versammlungsplatz dar.


In Gretna Green angekommen – dem berühmten Ort für spontane Eheschließungen seit 1754 –, bin ich offiziell in Schottland. Der riesige Parkplatz und die Souvenirgeschäfte verraten: Hier kommen Busladungen von Kreuzfahrt-Touristen vorbei. Fünfzehn Minuten vor Ladenschluss bin ich allerdings der einzige Besucher. Der Ort hat eine fast melancholische Atmosphäre – angesichts der stark zurückgegangenen Eheschließungen kein Wunder.
Ein Protestbanner verkündet, dass selbst in Gretna Green die Verliebten nun 28 Tage warten müssen, bevor sie den Bund fürs Leben schließen dürfen. Der Romantik des Augenblicks und ohne Aufgebot heiraten zu können, wurde hier offenbar der bürokratische Garaus gemacht.

Wenige Kilometer weiter finde ich mein Quartier: ein B&B, umgeben von einem Garten, der aussieht, wie aus einem Garten-Magazin. Drei Katzen und meine Gastgeberin begrüßen mich. Nach der Vereinbarung, um acht zu frühstücken (ein Zeitpunkt, der in einem Land, wo das Abendessen um fünf serviert wird, fast schon dekadent spät ist), fahre ich zu einem indischen Restaurant. Dort lasse ich den Tag bei einem Curry ausklingen.
Nach dem gestrigen Museumsbesuch habe ich heute eine Landschaft, in der Geschichte und Gegenwart, Komödie und Poesie, prähistorische Steine und lästige Gesetze aufeinandertreffen kennengelernt.
Und vor dem Einschlafen denke ich noch, dass man mit 70 km/h bequem durch Raum und Zeit reisen kann – und sich wieder einmal bestätigt, dass das Ziel manchmal weniger wichtig ist als der Weg dorthin.
