
Ich habe mich in den letzten Wochen sehr lebendig gefühlt. Ich konnte Kunst und Natur völlig losgelöst vom Alltag erleben. Natürlich haben diese Dinge auch im Alltag ihren Platz – doch die konzentrierte Hinwendung in den letzten Wochen hat eine ganz andere Resonanz in mir entfaltet. Begeisterung, Ergriffenheit, Verbundenheit mit dem Schönen – in künstlerischen Vollkommenheit – erlebte ich in meinem Rhythmus und genoss sie auf meine „erotische“ Weise. Das war unbeschreiblich schön!
Wie die Musikalität ist auch die Fähigkeit, Schönheit wahrzunehmen, sehr individuell.
Es ist wunderbar, dass ich mich auf meine Weise in die erlebte und gesehene Schönheit „verlieben“ konnte. Dabei sind es nicht die vielen „Schönheiten“, die bemerkenswert sind, sondern das „Verliebtsein“ selbst. In solchen Momenten vergesse ich mich völlig – wie beim Küssen, wenn man ganz mit dem anderen verschmilzt.
In der Begegnung mit Kunst ist es oft weniger das Objekt der Schönheit, das mich erschauern lässt – als vielmehr jene Saite in mir, die zum Klingen gebracht wird. Diese innere Bewegung, dieses Erschauern, verweist auf eine Kraft, die größer ist als ich selbst – eine Kraft, die die Alten Eros nannten.
Ich erlebte das große Glück verliebt zu sein – in die Liebe, die Schönheit und das Leben. Und manchmal kehrt dieses Gefühl noch heute zurück. Und wie groß war das Glück, wenn das Verliebtsein erwidert wurde – auch wenn es leider nie von Dauer war. In der Zuversicht liegt der stille Optimismus, denn die Hoffnung oft vermisst 😉 In diesem Sinne bleibe ich dem Liebespfeile schießenden Daimon Eros gegenüber zuversichtlich.
Auch Goethe war wohl in dieser Weise verliebt. Er unterschied zwischen der Geliebten und der Liebe zu ihr – und schrieb: „Ich könnte zwar ohne mein Käthchen leben, niemals ohne meine Liebe zu ihr“.
Der griechische Gott Eros stellt die Verbindung her – zwischen dem Begehrten und dem Begehrenden.
Eros ist mit Flügeln ausgestattet, um zwischen den Göttern, oder besser: zwischen dem Göttlichen und den Menschen hin und her zu eilen. Ohne Vorbehalt schießt er seine Pfeile – direkt in die liebenden Herzen.
Wer getroffen wird, ergibt sich seinem Schicksal und liebt. Wer sich wehrt, leidet.
Begehren ist nicht gleich Habenwollen, nicht Begierde, sondern Hingabe! Der Asket verzichtet nicht – er richtet sich aus freiem Willen auf das Wesentliche aus. Nur so entkommt er dem Übermaß der Wahl. Weniger ist mehr! Ich muss ein Kunstwerk nicht besitzen – es genügt, ihm im Museum zu begegnen und es zu „lieben“.
Wenn wir uns dem Wesen des Begehrens nähern, erkennen wir: Die Antwort auf diese Hingabe ist nicht Besitz – sondern ein Staunen, ein inneres Beben.
Diese Sehnsucht drückt Novalis in folgenden Zeilen aus:„Nicht die Schätze sind es, die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben, sagte er zu sich selbst: Fernab liegt mir alle Habsucht, aber die blaue Blume sehn‘ ich mich zu erblicken.“


Die Antwort auf die Umarmung des Eros?
Ein einziges WOW!
Zuerst erleben wir diesen WOW-Effekt in uns selbst – dann in der Berührung mit dem Gegenüber.
Mit wachsender erotischer Reife und Sensibilität weitet sich das Erleben – vom Einzelnen zum Anderen, vom Anderen zu allen, bis hin zur Hinwendung zum Göttlichen. Das hat etwas Mystisches, etwas Magisches, etwas Allesaufdenkopftsellendes!
Doch wie lässt sich diese Haltung leben? Wie wandelt sich das Begehren im Lauf der Zeit? Vielleicht liegt die Antwort in Hesses Gedicht.
Ästhetik betrachtet die Kunst von außen nach formalen Gesichtspunkten, bleibt aber im Wesentlichen unbeteiligt. Erotik – von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt – ist das Gegenteil von ästhetischem Voyeurismus. Theorie ist das eine – Sehen, Fühlen und Staunen das andere. Beides will kultiviert werden.
Stufen von Hermann Hesse
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Die gedankliche, die emotionale Bewegung vom Einzelnen zum Allgemeinen ist nicht nur ein Gedankenspiel – sie führt uns zur Tiefe der Schönheit selbst.
Platon versteht die Liebe (Eros) als ein Streben des Liebenden – vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Vereinzelten zum Umfassenden. Das ist die wahre Platonische Liebe!
In Platons „Symposion“ erklärt Diotima dem Sokrates die Natur des Eros: Wer den rechten Weg zur Liebe gehen will, beginnt in der Jugend mit der Hingabe an einen schönen Körper. Aus dieser Begegnung entstehen Worte, Gedanken, vielleicht erste Einsichten. Doch bald erkennt er: Schönheit ist nicht exklusiv, nicht gebunden an ein einzelnes Wesen – sie ist verwandt in allen Körpern. Es wäre töricht, sie nur in einem zu suchen. So wird er zum Liebhaber aller Schönheit – und seine Leidenschaft für das Einzelne tritt zurück.
Hat er dies erkannt, wird er zu einem Liebhaber aller Schönheit und seine Leidenschaft für den Einzelnen nachlassen.
Hier geht’s zur vollständigen und sehr lesenswerten Rede von Diotimia.
Gemeint ist nicht nur die sinnlich wahrnehmbare Schönheit, sondern auch die geistige, die „in die Tiefe“ geht. Der leidenschaftslose Intellekt sucht nach ästhetische Regeln und gedankliche Zusammenhänge – doch bleibt er oft unberührt.
Die sinnliche Wahrnehmung nähert den Enthusiasmus – indem sie sich ihm nähert!
„Man sieht nur mit dem Herzen gut!“, sagt der kleine Prinz. Recht hat er!


Wenn Eros uns mit dem Leben verbindet, dann ist jeder Ausdruck – auch dieser Blog – ein Versuch, dieser Verbindung Gestalt zu geben.
Eros macht nicht Yin zu Yang. Er ist kein Gleichmacher. Doch er zeigt, wie alles mit allem verbunden ist – und verweist auf das Ganze, auf das göttliche Sein in der Welt.
Der vom Eros beseelte Mensch kennt sein Begehren und genießt es.
Zugleich versucht er, dieses Begehren durch sein Bedürfnis nach Schönheit auszudrücken – so gut er kann.
So wie ich.
Im Gegensatz zur Ästhetik, die Kunst von außen betrachtet, will uns Eros mit dem Menschsein verbinden – mit dem guten Leben!
Eros ist die vermittelnde Energie, die uns die Balance halten lässt – zwischen Mangel und Vollkommenheit, zwischen Leid und Freude.
Eros ist das bedingungslose Ja zum Leben.
Das „gute Leben“ beginnt, wenn Empfänglichkeit und künstlerischer Ausdruck in Harmonie sind. Insofern ist dieser Blog ein „erotisches“ Projekt – im platonischen Sinn.
Das Herz ist der Schlüssel zu dieser Lebensweise – nicht unser Verstand, unser Wille oder unser Ego!


Eros ist ein flatterhafter Geist mit Flügeln, den man nicht locken kann.
Er kommt und geht, wie es ihm gefällt. Doch wir können uns „erotisch“ verhalten, indem wir uns der Schönheit des Lebens, der Natur und der Mitmenschen vorbehaltlos öffnen – uns begeistern, inspirieren lassen und uns auf jeden Ruf des Lebens antworten.
Das Herz ist der Schlüssel zu dieser Lebensweise – nicht unser Verstand, unser Wille oder unser Ego!
Was mich an antiken Statuen fasziniert, ist ihre sinnliche Präsenz: Durch sie spüre ich eine Verbindung zu jener Zeit, in der die großen Philosophen lebten und Ideen wie die Demokratie geboren wurden.
Plantons Ideenlehre spricht von ewigen Urbildern – dem Guten, dem Wahren, dem Schönen –, die wie leuchtende Sterne über der sichtbaren Welt stehen und der Seele Orientierung geben. Die Seele erinnert sich an diese transzendenten Prinzipien und findet in ihnen einen Kompass, der durch die unermessliche Vielfalt der Erscheinungen hindurch auf das Wesentliche weist. Die buddhistische Vorstellung der Buddha-Natur beschreibt einen verwandten, doch anderen Weg: Hier ist die Quelle von Klarheit und Mitgefühl keine ferne Idee, sondern eine innewohnende Wirklichkeit, die in jedem Menschen bereits gegenwärtig ist und zur Entfaltung drängt. Beide Lehren verbindet die Überzeugung, dass wahre Orientierung nicht im Außen, sondern in der Ausrichtung auf eine unveränderliche, stille Wahrheit liegt.
Eros ist die Kraft, die zwischen diesen ewigen Prinzipien und meinem Leben vermittelt – und die sich in einem unbedingten Ja zu diesem noch unvollkommenen Leben äußert.
„Eros und Harmonie“ von Christoph Quarch ist ein philosophisches Buch, das mein Verständnis von Platons Ideen über Glück, Liebe und Lebenssinn vertieft hat – und eine Saite in mir zum Klingen bringt, auf der das Lied vom Guten, vom Wahren und vom Schönen erklingt.