
In Platons Höhlengleichnis sind die Menschen an eine Wand gefesselt, den Rücken dem Licht zugewandt. Sie sehen nur Schatten – Projektionen einer Wirklichkeit, die sie nie unmittelbar erfahren. Was sie für real halten, ist lediglich die konventionelle Wahrheit der Gefesselten. Wer sich befreit und die Höhle hinter sich lässt, erkennt erst im Licht der Sonne die wahre Natur der Dinge, ihre absolute Wahrheit.
Ich stehe an einem karibischen Strand, umgeben von Marmorstatuen. Sie werfen wie ich Schatten auf den Sand – Schatten, die fest mit unseren Körpern verbunden sind, nicht wie jene flüchtigen Trugbilder in Platons Allegorie. Model und Bildhauer, die einst diese Körper schufen und formten, sind längst vergangen.

Pygmalion und Galatea, Ölskizze von Jean-Leon Gerome
Und doch: Ihr Sein ist gegenwärtig. In der Stille des Marmors, in der Bewegung, die für immer erstarrt ist, lebt etwas davon fort. Was wird von mir gegenwärtig bleiben, wenn meine Asche dem Meer übergeben wird?
Der Sand unter meinen Füßen, der Marmor der Statuen – sind aus Sand und Kalk, über Äonen verdichtet, geformt von Druck und Zeit. Mein Körper ist nicht anders. Gebildet aus Elementen, die älter sind als jede Erinnerung. So wie der Fels einst Sand, und mein Blut aus Wasser ist, so werde auch ich wieder Meer sein. Wenn eines Tages mein Körper seinen treuen Dienst aufgibt und zu Asche verbrannt wird, wenn diese Asche ins Meer gestreut wird, dann schließt sich ein Kreis, den ich heute schon erahne.
Die Elemente, die jetzt meine Hände bilden, die diese Zeilen schreiben, werden Teil der Wellen sein, Teil des Sandes, vielleicht eines Tages Teil eines neuen Felsens. Der große Kreislauf kennt keinen Anfang und kein Ende, nur Verwandlung.
Die unbeweglichen Statuen am Strand wissen das. Ihr Schatten fällt auf den Sand wie meiner jetzt. Der Unterschied ist Zeit, nichts weiter – die Schatten bewegen sich wie bei einer Sonnenuhr.
Vielleicht ist das die Suche nach Arkadien: die Flucht aus der Höhle ins wahre Licht und die Erkenntnis, dass wir alle Teile desselben sind – Stein und Fleisch, Schatten und Licht, Vergänglichkeit und Dauer.
Als sich meine Augen an das Licht gewöhnen, erkenne ich auch die letztendliche Natur der Phänomene. Sie haben keine inhärente Existenz, denn sie alle sind aus anderem entstanden. Während ich dies erkenne, weiß ich, dass auch ich in Abhängigkeit von anderem entstanden bin. Das ist das Gesetz von Ursache und Wirkung.

Mein Sein wird gegenwärtig sein in den Wellen, die meine Asche tragen. In den Gedanken derer, die sich erinnern. In den Worten, die bleiben, wenn die Hand, die sie schrieb, längst zu Sand geworden ist. Und vielleicht, eines fernen Tages, in einem Stein, in dem sich alles verdichtet hat, was einmal ich war – wartend darauf, dass ein Bildhauer kommt und ihm eine neue Form gibt.
So schließt sich der Kreis. Aus der Höhle ans Licht. Vom Licht zurück ins Meer. Vom Meer in den Stein. Vom Stein in eine neue Gestalt. Arkadien ist kein Ort. Es ist dieser endlose Tanz der Verwandlung, in dem nichts verloren geht, sondern nur die Form wechselt.
Es wird mich nicht überraschen, dass mein Schatten irgendwann nicht mehr sein wird, weil ich nicht mehr zwischen ihm und der Sonne stehe.
Im Sonnenlicht der Erkenntnis ist Arkadien hier und jetzt.
