28.09.2025 London – Greenwich

Das gestern gesehene Bild von Bob Dylan ist die perfekte Überleitung zum heutigen Reisetag. Während ich den Koffer hinter mir herziehe, gedenke ich in Dankbarkeit dem Erfinder der rollenden Koffer. Beim Frühstück google ich und stelle fest, dass es zwei unsichtbare Genies waren. Vielleicht hatte auch diese gute Idee viele Väter – bekannt wurden aber nur Bernard D. Sadow, der 1970 seine vierrädrige Innovation patentierte, und Robert Plath, der 1987 das Design mit zwei Rädern und ausziehbarem Griff perfektionierte. So veränderten und erleichterten sie das Reisen für immer.

Mit dem Taxi irrte ich durch London zum Schiffsanleger Millbank. Aufgrund des tatsächlich erst heute stattfindenden Ealing Half Marathons ist die Innenstadt fast hermetisch abgesperrt. Ich habe Glück, dass es um 8:30 Uhr noch kleine Lücken gab. Die Fahrt mit der Uber Clipper Fähre nach Greenwich dauerte etwas mehr als eine Stunde und bot mir die bisher nie wahrgenommene Gelegenheit, einmal auf der Themse herumzuschippern. Vielleicht ist es die verpasste große Gelegenheit, mit der Neptun über den Pazifik zu segeln, die mich auf jedes kleine, verfügbare Schiff springen lässt – und das Glück auf dem Wasser zu genießen.

Wenn das Große ausbleibt, stillt auch das Kleine meine Reiselust.

Der Ausblick auf die alten, vertrauten Gebäude ist großartig, wird aber durch die gewaltigen, himmelwärts stürmenden Bürotürme für meinen Geschmack gestört. Hochhäuser sieht man sich im Original an – und fährt dafür nach New York. So wie man Deutschland nicht kennt, wenn man nur einmal in Berlin war, so ist es auch mit Paris oder London. Wer zum ersten Mal nach London kommt, sollte unbedingt einen Abstecher nach Greenwich oder Brighton machen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie es in England wirklich aussieht.

Beim Ändern meines Reiseplans von Tube auf Schiff habe ich nicht bedacht, dass der Anleger sehr viel weiter vom Hotel entfernt liegt als die Tube-Station. Wer vorher nicht nachdenkt, muss hinterher länger das Gepäck zum Hotel ziehen. Ich stelle es bei der Rezeption ab, weil ich das Zimmer noch nicht beziehen kann, und mache mich auf den Weg zum Royal Observatory. Der Weg ist steil und führt durch einen Park, der seine Herbstpracht noch nicht voll entfaltet hat.

In dem historischen Gebäude werden alte astronomische Geräte gezeigt und erklärt. Einmal am Tag fällt um 13:00 Uhr ein roter Ball von der Turmspitze – damit die auslaufenden Segler ihre Uhren stellen konnten. Sensationell – eine Uhr, die nur einmal am Tag die Zeit anzeigt!

Google Maps wäre ohne Greenwich-Zeit und den Nullmeridian gar nicht denkbar. John Harrison war ein Tischler, der sich der Uhrmacherei widmete. Nach über 30 Jahren unermüdlichen und von vielen Rückschlägen geprägten Forschens gelang es ihm, die erste seetaugliche Uhr zu konstruieren – eine Uhr, die auch bei Seegang und Temperaturschwankungen zuverlässig arbeitete. Sie gilt als eine der wichtigsten Maschinen der Menschheit und ist für mich ein inspirierendes Beispiel für Gratifikationsaufschub: Das Preisgeld für die Lösung des Längenproblems, das bereits 1714 ausgelobt worden war, wurde ihm erst 1773 – also fast 40 Jahre später – unter fadenscheinigen Argumenten auch nur teilweise ausgezahlt.

Die bis dahin üblichen Pendeluhren kamen mit den Widrigkeiten einer Seefahrt nicht zurecht. Doch genau das war die Voraussetzung für eine präzise Positionsbestimmung. Und was es mit Korruption, James Cook, der Sonne und der Venus damit zu tun hat, bitte ich in dem sehr spannenden Buch von Dava Sobel nachzulesen: „Längengrad. Die wahre Geschichte eines einsamen Genies, welches das größte wissenschaftliche Problem seiner Zeit löste“. Die Geschichte von John Harrison ist ein schönes Beispiel dafür, dass man nicht unbedingt Experte sein muss, um eine bahnbrechende Erfindung zu machen

Es ist ganz einfach, auf der offiziellen Linie zwischen Ost und West mit beiden Füßen zu stehen – und damit die Seiten zu verbinden, die diese Linie trennt. Und dabei zu wissen, dass diese Linie keine absolute Wahrheit ist, sondern lediglich eine konventionelle Wahrheit: ein wissenschaftliches und politisches Abkommen der Internationalen Meridian-Konferenz von 1884.

Auf dem Weg durch das Queen’s House begleite ich Sabine aus München, die mit ihrer Schulklasse unterwegs ist. Sie ist mit ihrem Kinderbuch so weit wie ich mit meinem – jetzt steht die Veröffentlichung an. Während des Erfahrungsaustauschs betrachten wir viele Gemälde, die Kapitäne und Könige zeigen. Wir halten nur inne, als wir das berühmte Bild von Queen Elisabeth I. sehen.

Im Hotel gönne ich mir einen kurzen Mittagsschlaf. Der Gewürztee von gestern Abend – aromatisch, leckere aber aufmunternd – und der Sauerstoffmangel im kaum 7,5 m² großen Zimmer hatten mich die Nacht über wachgehalten. Ich stelle fest: Je größer die Stadt, desto teurer die Unterkunft – und desto kleiner das Zimmer.

Zum Abendessen gibt es eine leckere thailändische Nudelsuppe – leicht, wohltuend und genügend Luft ist auch im Zimmer 😉

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