09.09.2025 Liverpool (2. Tag)

Die Sonne lacht über Liverpool, das Thermometer erreicht gerade mal 17 Grad – ideales Museumswetter für kulturinteressierte Flaneure. Ein perfekter Tag voller Kunst und Geschichte.

 

Während des Frühstücks plane ich den Tag und muss leider feststellen, dass das Museum für Sklaverei und die Tate Gallery umgebaut werden und das Museum für Britische Popmusik dienstags geschlossen ist. Meine Erfahrung ist, dass, wenn das Unvorhergesehene das Steuer übernimmt, es ein interessanter Tag werden kann, d.h. für mich mehr Zeit für die Walker Art Gallery, die „National Gallery des Nordens“.

Die Walker Art Gallery 

Nach halbstündigem Spaziergang und Cappuccino im Foyer beginnt um 10:30 eine Führung für fünf Pfund. Das Museum selbst ist kostenlos – kultureller Luxus und Teilhabe für jedermann, den Liverpool großzügig gewährt.

Die Walker Art Gallery entpuppt sich als feine Schatzkammer. Paradestücke sind Holbein-Porträts von Heinrich VIII. und Elisabeth I. – das Heinrich-Porträt eine der frühesten Versionen von Holbeins verlorenem Whitehall-Gemälde. Hier steht man vor Geschichte in Öl: vor dem Mann, der sechsmal heiratete und dabei die englische Kirche neu erfand, und seiner Tochter, die ein Weltreich regierte. Ihr Porträt lässt mich natürlich gern an Stefan Zweigs „Maria Stuart“ denken, sein vielleicht bestes Buch.

 

Großartig ist auch die Darstellung von „Echo und Narcissus“ von John William Waterhouse. Ovid erzählt, dass Echo ihre Stimme verloren hat und nur noch das zuletzt gesprochene Wort anderer wiederholen kann und dass Narziss nur sein eigenes Spiegelbild lieben kann. Sie verleugnet sich selbst, er verleugnet alle anderen. Beide Extreme führen in eine emotionale Isolation, aber nicht zu einer glücklichen Liebesbeziehung. Ziemlich schlaue , psychologische Erkenntnis von Ovid, der von 43 v.u.Z. bis 17 u.Z. gelebt hat, nicht wahr?

Besonders bemerkenswert ist der ehrliche Umgang des Museums mit seiner eigenen Vergangenheit. Die Philanthropen, die diese Kunstschätze stifteten, machten ihre Vermögen als Sklavenhändler, Bankiers oder Schiffseigner. Geschichte ist nie nur schön, und Liverpool zeigt Mut, auch dunkle Kapitel zu beleuchten.

Ein Führungstipp entpuppt sich als Glücksfall: die Bibliothek nebenan. Das Gebäude wurde 1941 im „Blitz“ schwer beschädigt, nur die Fassade blieb stehen. 2015 entstand hinter dieser historischen Kulisse eine moderne, geräumige Bibliothek – eine architektonische Meisterleistung aus Alt und Neu.

Das schöne Treppenhaus ist schwindelerregend und führt zum Picton Reading Room, einem kreisrunden Kuppelsaal von 1879, der die Bombardierung überstand. Ich nehme Platz und lese im Gentleman’s Magazine von 1787. Ein 236 Jahre altes Buch in den Händen zu halten, ist, als würde man durch ein Zeitfenster blicken und Vergangenheit mit Fingerspitzen berühren. Bei so einer Gelegenheit könnte die Zeit stehen bleiben, ohne dass ich es bemerken würde.

 

Ein Besuch nebenan im World Museum rundet den Tag ab: Weltall, Dinosaurier, bedrohte Arten, Weltkulturen, altes Ägypten, Käfer, Aquarien. Ein bunter Streifzug durch die Wunder der Welt. Edinburgh hat Vergleichbares, beide Museen üben auf mich dieselbe Anziehungskraft aus, weil sie Wissen mit Staunen verbinden.

Zur Tea Time erlaube ich mir eine kulinarische Krönung: den ersten Scone mit clotted cream und Marmelade auf dieser Reise. Augen satt + Magen zufrieden = ein absolut guter Tag.

 

 

 

Heute gehörte der Tag den Königen, Käfern und alten Büchern. Morgen geht’s in die Natur. Deshalb werde ich heute Abend noch packen, damit der Start morgen früh klappt.

 

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