Um nicht wie ein „Fool on the Hill“ unwissend zu bleiben, beschließe ich heute, Liverpool zu Fuß zu erkunden – „Please, Please Me“, Stadt der Beatles! Wegen des bewölkten Himmels war die vollständige Mondfinsternis für uns nicht sichtbar. Um 6:38 Uhr heißt es „Here Comes the Sun“.

Nach dem Frühstück wandere ich entlang der Docks am Mersey. Liverpool liegt nicht weit von der Flussmündung in die Irische See (nicht den Atlantik, wie meine morgendlichen Gedanken suggerierten), und der beeindruckende Tidenhub von etwa 9 Metern ist deutlich an den Ufern abzulesen. In Hamburg sind es normalerweise 3,80 Meter


Wie auf einer Perlenkette reihen sich entlang des Flusses große, neue Gebäude mit faszinierender Architektur aneinander. Museen, Ausstellungs- und Messehallen bilden eine moderne Skyline. Zentraler Anlaufpunkt ist das Albert Dock, wo mich eine Bronze-Gestalt begrüßt: Billy Fury, der „englische Elvis“, dessen Name ich bis heute nicht kannte. Diese Statue wurde 2003 von Liverpool-Bildhauer Tom Murphy geschaffen und durch sechs Jahre Spendensammlung von Fans finanziert – eine schöne Geste für einen lokalen Helden, „Getting by with a Little Help from (his) Friends“.

Die historischen Lagerhäuser wurden liebevoll renoviert und mit Leben gefüllt – Läden und Restaurants beleben die uns Hamburgern vertraute Backstein-Romantik. Leider hat man vergessen, Bäume zu pflanzen – und nun liegen zwischen den Gebäuden steinerne Wüsten, groß wie Fußballfelder. Wie viel schöner wäre es, hätte man Leben statt Beton gesät.

Die Liverpool Cathedral empfängt mich mit ihrer Stille. Sie ist die größte Kathedrale Britanniens und die fünftgrößte der Welt – Größe allein macht noch keine Spiritualität, aber beim Cappuccino genieße ich die Stille, die dieser monumentale Raum ausstrahlt. Hier würde sich „Eleanor Rigby“ wohlfühlen, in der Einsamkeit und Erhabenheit dieses Ortes.


Die Innenstadt ist herrlich kompakt; alles Wichtige erreiche ich in 20 Minuten zu Fuß. Hinter der Kathedrale entdecke ich ein kleines Chinatown mit geschlossenen Restaurants (zu früh am Tag!), einem chinesischen Krankenhaus und dem Ganzen in der Nähe des Baltic Triangle, durch das die Jamaica Road führt. „Within You, Without You“ scheint hier das Motto zu sein – andere Kulturen, die sich nahtlos in Liverpool einfügen. Dass die Engländer es mit der Geografie nicht so genau nehmen, zeigt der beliebte „German Döner Kebab“-Laden – eine kulinarische Grenzüberschreitung der besonderen Art.

In der Ausstellung „The Beatles Story“ wird die Geschichte der Fab Four anschaulich mit Originalexponaten erzählt. Etwas enttäuscht bin ich vom Fehlen der Filmausschnitte oder Konzertmitschnitte – das hätte das Erlebnis abgerundet. Die Ausstellung neigt sich dem Ende zu – und mit ihr meine rahmenlose Brille, die sich in zwei Hälften trennt und wie ein letzter Akt von der Nase gleitet. Zum Glück fange ich beide Teile auf und erinnere mich an den Optiker vom Vormittag. „Help!“ denke ich – und tatsächlich hilft er mir für 25 Pfund wieder sehfähig zu werden – Service mit britischem Aufschlag.
Das originale Odeon-Kino, in dem „A Hard Day’s Night“ Premiere feierte, gibt es nicht mehr; stattdessen trägt ein Multiplex den Namen. „Yesterday“ war eben alles anders – schade um die Authentizität. Manchmal ändern sich die Dinge auch zum Besseren. In den 1970er und 1980er galt Liverpool als das Armenhaus Englands. Das ist heute auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
Das ist der Nachbau des Weißen Salons von John Lennon, in dem er den Song geschrieben hat.
Ein zweiter Nieselschauer „zwingt“ mich geradezu in ein Thai-Restaurant. Es bleibt mir ein Rätsel, warum Italiener oder Thailänder in England anders, besser kochen. Die indischen und asiatischen Restaurants sind großartig. Ich bekomme einen deepdeepdeep fried Fisch serviert, den ich kalt mit einer köstlichen Galgantsauce esse. Der Fisch war dadurch so knusperig geworden, wie die Schwarte eines Schweinebratens. „Something“ ganz Besonderes und Sonderbares, aber vor allem erinnerungswürdig Lecker.
Nach 16 Kilometern (etwa 19.949 Schritte) – was mir wie eine „Long and Winding Road“ vorkommt – steige ich auf ein Fährschiff, das früher Arbeiter über den Mersey brachte. Fast fühle ich mich wie in einer „Yellow Submarine“,während ich hin und zurück fahre und die großartige Perspektive auf die modernen und historischen Gebäude genieße, die ich mir heute alle aus der Nähe angesehen habe.
Neben den schönen alten Häusern, werden leider immer mehr seelenlose Kästen gebaut.




Zufrieden mit meinem Tagewerk kehre ich ins Hotel zurück und genieße vom 24. Stock aus die abendliche Stimmung über Liverpool. „Good Night“ Liverpool – jetzt beginnt wohl „A Hard Day’s Night“, aber was für ein erfüllter Tag das war!

