Über Fort William spannte sich ein makellos blauer Himmel, die Luft war kristallklar, und die Sonne wärmte bereits die östlichen Bergflanken – obwohl das Thermometer erst 8 Grad zeigte. Perfektes Wetter für mein heutiges Vorhaben: eine Strecke, die alle Juwelen des schottischen Hochlandes vereint.

Glencoe empfing mich mit einer Schönheit, die zugleich wild und melancholisch wirkte. Im Visitor Centre erfuhr ich, dass dieses Tal einst Teil eines kollabierten Vulkans war – vor über 400 Millionen Jahren. Die „Three Sisters“ und die schroffen Grate des Aonach Eagach sind steinerne Zeugen dieser Urgewalt. Später modellierten Gletscher die Berge und Täler zu jener klassischen U-Form, die heute Wanderer und offenbar auch Geologen begeistert. Der River Coe schlängelte sich durch die Landschaft, stürzte über Wasserfälle und mündete in das stille Loch Leven. Auf dem Weg dorthin versorgte das Hochmoor die Landschaft mit Wasser.




Am Visitor Centre steht ein Nachbau jener Behausungen, in denen Menschen lebten, bevor sie in einem grausamen Massaker ermordet wurden. Am 13. Februar 1692 töteten Regierungstruppen unter Archibald Campbell 38 Mitglieder des MacDonald-Clans – ein Akt des Verrats an der schottischen Gastfreundschaft, der bis heute als einer der schwärzesten Momente der Highland-Geschichte gilt. Viele flohen in die Berge und erfroren in der eisigen Kälte.

Mit meinem kleinen Fiat fand ich zum Glück leicht einen Parkplatz am überfüllten Three Sisters Viewpoint. Unfair war allerdings, dass manche Camper verbotenerweise dort schon seit gestern Abend standen. Die Three Sisters ragten bis zu 1.150 Meter in die Höhe – ein Anblick, der Worte hervorrief, die ich selten benutze: majestätisch, grandios, überwältigend. Ich begnügte mich nicht mit einem Fotostopp, sondern wanderte von der Sonne verwöhnt hinunter zum Fluss. Auch beim Anblick von Schottlands berühmtestem pyramidenförmigem Berg, dem Buachaille Etive Mòr, fühlte ich mich so klein wie ein Hobbit.

Beim Kings House Hotel im Rannoch Moor aß ich eine kleine Suppe – ein Trick, um das Geld für den Parkplatz zu sparen, denn Gäste parkten kostenlos. Dann wanderte ich ein gutes Stück auf dem 19 Kilometer langen Weg durch diese stille, weite Heide- und Moorlandschaft, die mit ihrer kargen Schönheit bezauberte. Die Moose und Flechten auf einem Holzgeländer erinnerten mich an die winzigen Pflanzen, die auf den isländischen Lavafeldern wachsen. Sie bereiten den Nährboden für die höherwachsenden Pflanzen, die in ein paar Jahrhunderten hier wachsen werden.

Im Glencoe Ski Resort fuhr ich mit einem Sessellift bergauf. Als dieser plötzlich stoppte, dachte ich an Costa Rica, 2017. Damals hing ich mitten auf einer 1.000 Meter langen Zipline, 80 Meter über dem Regenwald, als sich meine Rolle verklemmte. Zwei Helfer rutschten von beiden Seiten zu mir und forderten einen Klimmzug – ungesichert, schwebend über dem grünen Abgrund. Ich „klimmzugte“ mich hoch, sie tauschten die Rolle, und ich sauste weiter. Eine Minute, die sich wie eine Ewigkeit dehnte.
(Mutter, mit einem Doppelklick auf das weiße Dreieck, startest Du das Video!)
Zum Glück brachte mich der schottische Sessellift ohne derart dramatische Vorkommnisse zur Bergstation. Die Aussicht vom Plateau war atemberaubend, doch die Sicht auf die Three Sisters war durch einen höherliegenden Gipfel verdeckt. Meine gestrige Weisheit, nicht mehr jeden Gipfel zu stürmen, schlug ich in den Wind und wanderte zwei Stunden bergauf. Immer wieder überquerte ich feuchte Moorwiesen und sprang dabei von Stein zu Stein wie ein alter Geißbock. Der Ausblick vom Gipfel machte alle Mühen wett.

Ganz herrlich war der Blick über das Moor und die vielen kleinen Seen ein paar Kilometer weiter. Es war, als ob die Zeit stillstand und sich nur die Wolken bewegten.



Kurz vor Erreichen meiner heutigen Unterkunft machte ich noch Stopps am Loch Tulla und der Bridge of Orchy. Die Brücke und der gleichnamige Bahnhof entstanden 1894 mit dem Bau der West Highland Railway, einer der schönsten Bahnstrecken Schottlands. Bei meinem nächsten Besuch in Schottland werde ich diese Bahnlinie einmal erkunden.


Das Loch Awe Hotel war ein Hotel aus der Zeit des Empires – alles wirkte wie die Kulisse eines Jane-Austen-Films. Mir gefiel es. Das Abendessen wurde im großen Speisesaal mit Kronleuchtern gereicht, während draußen der schottische Abend hereinbrach.

Der Blick auf den See vom Kaminzimmer, wo ich diese Zeilen schreibe, möchte ich am liebsten mit nach Hause nehmen. Dennoch zufrieden, genieße ich die Schönheit des Moments. An diesem Tag reihten sich viele kostbare schottische Juwelen wie Perlen an einer Kette aneinander. Was für ein reiches Geschenk, dass ich diese Fahrt vom Vorjahr noch einmal mit mehr Zeit wiederholen konnte.
