22.09.2025 Fort Wiliams – Corrour Station – Fort Williams

Heute Morgen hingen die Wolken extrem tief, sodass die Bergspitzen unsichtbar blieben. Ich fahre trotzdem los – in der Hoffnung, dass sich das Wetter bessert. Die Temperatur ist auf 8 Grad gefallen, und damit sinkt die Chance, dass sich der Nebel auflöst.

Die Idee, zur Corrour Station zu fahren – der höchstgelegenen Bahnstation Großbritanniens – und von dort aus durch das Hochmoor zu wandern, ist an sich nicht schlecht. Ich gebe mich hoffnungsvoll der Illusion hin, eine Landschaft zu sehen wie auf den Fotokartenmotiven: klare Gipfel, leuchtende Farben, dramatisches Licht. Stattdessen erwartet mich eine Welt in herrlichem Grey Flanell – weich, gedämpft, würdevoll verschwommen. Und dennoch: traumhaft schön. Fast so schön wie der gelegentlich flanellgraue Himmel über Hamburg.

Profi-Tipp: Zur Corrour Station kann man bequem mit dem Zug fahren, aussteigen und nach der Wanderung wieder zurückfahren.

Leider zeigt Google Maps auch private Straßen an, die für den öffentlichen Verkehr mit dem Auto nicht zugelassen sind. Ein hilfsbereiter Forstarbeiter erklärt mir, dass amerikanische und kanadische Baumarten vor gut 100 Jahren eingeführt wurden, weil sie in der Höhe schnell und gut wachsen. Heute setzt man wieder vermehrt auf Mischwald – ein Programm, das ursprünglich von der EU gefördert wurde und nun von der schottischen Regierung weitergeführt wird. Zum Abschluss unseres Gesprächs weist er mir noch den Weg aus dem Forst.

Wie in Deutschland werden auch hier öffentliche Telefonzellen abgebaut. Diese steht right in the middle of nowhere und wartet auf Anrufer.

Ich kehre zurück nach Fort William, um dort zu Mittag zu essen. Das West Highland Museum ist ein kleines Heimatmuseum mit Schwerpunkt auf der schottischen Militärgeschichte. Ich halte diesen Höflichkeitsbesuch kurz.

Nebenan ass ich zu Mittag. Dieses Mal schwammen die Muscheln in einer leckeren Sahnesauce.

Im Laufe einer Reise eutrophiert die Ordnung der gebügelten Kleidung. Dem gebiete ich Einhalt – begleitet von Musik. Dabei feile ich weiter an einem Text, mit dem ich seit gestern schwanger gehe. Meine ersten Gedanken diktiere ich in die Notizen-App meines iPhones – eine äußerst praktische Funktion für unterwegs. So halte ich auch meine Gedanken untertags für den Tagesbericht fest.

Ein Versuch meine Me-Time-Gedanken während einer Wanderung entlang eines kleinen Flusses zu Papier zu bringen:

Ich denke an Heraklit: Niemand steigt zweimal in denselben Fluss. Vor mir reihen sich Wassertropfen aneinander und formen den Strom, der sich vor mir ausbreitet. Der Tropfen auf einem Farnblatt verdunstet – vergänglich im Moment –, doch der Fluss bleibt ewig. Ich beobachte, wie das Wasser „nach unten“ fließt, ohne sein Ziel zu kennen. Es folgt einem Gesetz, das größer ist als jede Absicht. Manchmal braust es über die Steine, manchmal ruht es träge in einem stillen Becken. Die Tropfen werden sich irgendwann im Ozean auflösen – das Individuelle in der Unendlichkeit.

Mit jedem Schritt, den ich mache, entsteht der Weg neu unter meinen Füßen. Jeder Schritt ist einzigartig, auch wenn der Pfad derselbe zu sein scheint. Der Weg existiert nur, weil meine Schritte ihn beleben. Mein Weg führt mich „vorwärts“, ohne dass ich ein Ende sehe. Manchmal eile ich, dann werde ich wieder bedächtig – und irgendwann werde ich das Ziel erreichen und mich auflösen: das Individuelle in der Unendlichkeit.

Genauso verhält es sich mit dem Fluss oder dem Weg meiner Gedanken.

Gedanke folgt auf Gedanke in meinem Kopf und bildet den Strom meines Bewusstseins. Jeder Gedanke ist vergänglich, doch der Denkstrom fließt kontinuierlich. Sie bewegen sich „durch die Zeit“, ohne dass ich ihr Ziel erkenne. Manchmal jagen sie wie ein Wildbach, dann versickern sie wie Tau im Gras. Meine Gedanken lösen sich wie Tropfen im Ozean auf.

In dem Ozean der Gedankenlosigkeit – zwischen den Gedanken – gibt es einen wunderbaren Moment, in dem ich die Welt kristallklar, ohne Bewertung oder Eintrübung wahrnehme. Dann schaue ich die Welt, wie zum ersten Mal.

Ich erkenne: Wasser, Weg und Gedanken existieren im Zwischen-Sein, im ewigen Übergang. Das Wasser ist weder Tropfen noch Ozean, mein Weg weder Anfang noch Ende, meine Gedanken weder Entstehen noch Vergehen. Alle drei sind im kontinuierlichen Fluss.

Es gibt nur das ewige Fließen – jeden Moment einzigartig und doch verbunden mit dem vorhergehenden und dem nachfolgenden. Ich bin zugleich Tropfen und Fluss, Schritt und Weg, Gedanke und Stille. In der Akzeptanz dieser fließenden Natur finde ich die Ruhe der Bewegung selbst – wie der ruhende Pol der Welt.

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