07.09.2025 Harwich – Liverpool

Um sechs Uhr morgens beginnt das große Abenteuer – oder besser gesagt: das große Rätselraten. Denn was ist britischer als ein Bahnstreik, der einen dazu zwingt, auf mysteriöse Ersatzbusse zu vertrauen, deren Abfahrtzeiten irgendwo zwischen 7:14 und 7:40 schwanken wie die Gezeiten der Themse?

 

So stehe ich also am Bahnhof von Harwich, verzichte tapfer aufs Frühstück (ein Opfer, das nur wahre Reisende verstehen) und entdecke dabei eine Gedenktafel an die Kindertransporte. Es waren fast 10.000 Kinder, die vor der Nazi-Verfolgung gerettet wurden – darunter der Sohn von Dr. Lippmann, über den ich ein ganzes Buch geschrieben habe. Das Bahnhofsgebäude von 1854 scheint unverändert. Das nette japanische Ehepaar schickte mir ein Foto von dem Kindertransport-Denkmal, das in Harwich steht.

Während die Morgensonne mich wärmt und ich ein paar Yogaübungen mache (passenderweise den „Helden“), denke ich an das Schicksal dieser Kinder. Zwischen Streben und Sterben liegt oft nur ein Buchstabe, und doch manchmal ein ganzes Leben.

Der Busfahrer fuhr die Strecke das erste Mal und navigierte nach Google Maps durch Straßen – wie ein moderner Odysseus mit GPS. Wir fuhren tatsächlich über einspurige Feldwege, die für einen Verkehrsbus nicht ausgelegt sind. Auch wenn es die meiste Zeit nicht danach aussah, erreichten wir pünktlich Colchester, von wo aus die Weiterfahrt nach London Liverpool Street reibungslos verlief. Wenn die Züge nicht bestreikt werden, sind sie sehr pünktlich, wie die Statistik zeigt.

 

 

Liverpool empfängt mich mit Nieselregen – typisch britisch, würde man sagen. Das Taxi hält vor einem riesigen Turm direkt am Fluss. Einchecken per Schlüsselautomat, Fahrstuhl in den 24. Stock, und plötzlich öffnet sich ein fantastischer Blick über Stadt und Wasser. Das Appartement ist viel zu schick für meine bescheidenen Reisebedürfnisse – erst erschrecke ich, dann entdecke ich erleichtert, dass ich nur 100 Euro pro Nacht zahle, nicht wie plötzlich befürchtet 300.

 

Bei Sainsbury’s kaufe ich das Nötige für Spaghetti und Frühstück. Während ich später am Fenster stehe und auf die funkelnden Lichter der Stadt blicke, wie die Bürotürme dunkel werden und die Wohnhäuser zu glitzern beginnen wie Weihnachtsbäume.

Mit einer Mischung aus Neugier, Amüsement und Zuversicht – so wie ich heute Morgen am Bahnhof von Harwich stand – freue ich mich auf die Dinge, die da kommen werden.

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