7:47 Uhr – Der pünktliche Start ins Abenteuer
Es regnet, es ist schwül bei 22 Grad – der Sommer verabschiedet sich mit einem feuchten Händedruck. Der Zug nach Osnabrück startet pünktlich, ein kleines Wunder, das Bahnreisende still zelebrieren. Zehn Minuten Umsteigezeit in Osnabrück – sportlich, aber machbar. Das Interrailticket erlaubt flexible Fahrscheinänderungen, nur bei Platzreservierungen stößt man an Grenzen. Aber wer braucht schon einen festen Platz, wenn das ganze Europa vor einem liegt und man mit fast 66 Jahren noch flexibel ist?
Grenzenlos durch Europa – Dank Schengen unsichtbare Übergänge
Das Umsteigen in Osnabrück und Hengelo verläuft wie am Schnürchen – pünktlich (!) und bequem. Von der Grenzüberquerung nach Holland merkt man nichts: keine Fahrkarten- und Ausweiskontrolle. Die Schengener Vereinbarung macht aus Europa einen großen, durchlässigen Raum, in dem nur die Sprache der Durchsagen verrät, dass man das Land gewechselt hat. Die Sonne bricht durch die Wolken auf der Weiterfahrt nach Gouda, aber der Zug zur Mittagszeit ist proppenvoll. Es braucht etwas Glück,um einen Sitzplatz zu ergattern.
Spektakel auf Rädern – Holländische Fahrradkultur
An den Bahnhöfen fallen sofort die gewaltigen Fahrradhäuser auf – mehrstöckige Bau- bzw. Kunstwerke des Radverkehrs, spektakulär und riesig. Hier wird das Fahrrad nicht geparkt, sondern zelebriert. Tausende von Rädern stapeln sich in architektonischen Meisterwerken, die beweisen: Die Holländer haben das Rad nicht erfunden, aber sie haben es perfektioniert.



Rotterdam – Moderne Architektur und kulinarische Offenbarungen
Vier pünktliche Züge bringen mich zwei Stunden früher als geplant nach Rotterdam – um 14:30 Uhr statt 16:30 Uhr. Die Fahrt nach Hoek van Holland dauert nur noch 20 Minuten, also bleibt Zeit für einen spontanen Stadtbummel. Für unglaubliche 14 Euro verschwindet das Gepäck im Schließfach, und schon geht es zu Fuß zur berühmten Markthalle.
Rotterdam zeigt sein wahres Gesicht: eine Stadt, die aus der Asche des Zweiten Weltkriegs als architektonisches Wunderland auferstand. Alte Gebäude? Fehlanzeige. Stattdessen eine Skyline voller Hochhäuser mit gewagten Designs, die aussehen, als hätte ein Architekt mit Bauklötzen gespielt und dabei alle Regeln vergessen. Damit hatte ich nicht gerechnet, wirklich eindrucksvoll.
Die Markthalle – Ein Augenschmaus mit Gaumenfreuden
Die Markthalle von Rotterdam erinnert mich an den Film „Inception“. In dem großartigen Film wird Architektur als Mittel zur Manipulation von Realität eingesetzt – ähnlich wie die Markthalle in Rotterdam mit ihrer monumentalen Form und dem floralen Deckengemälde eine fast traumhafte Welt erschafft. Beide Orte spielen mit Wahrnehmung: Die Traumarchitektur des Films und die reale Struktur der Halle verwischen Grenzen zwischen Funktion und Fantasie. Wie Ariadne im Film entwirft auch Rotterdam eine Umgebung, die staunen lässt und die Vorstellungskraft herausfordert.
Die röhrenartige Struktur der Markthalle macht beim ersten Anblick schwindelig. Das riesige florale Deckengemälde wölbt sich wie ein bunter Himmel über die vielen Stände, an denen die Welt in Häppchen serviert wird. In einem Sushi-Restaurant erlebe ich eine kulinarische Offenbarung: die wohl besten, leckersten und kreativsten Sushi meines Lebens. Fast wären sie eine Reise wert gewesen – zum Glück sind sie ein Geschenk dieser einen.
Ein kleiner Umweg zu den berühmten Kubushäusern kostet eine halbe Stunde, aber manche Architektur muss man einfach gesehen haben – selbst wenn sie aussieht, als hätte jemand normale Häuser auf den Kopf gestellt und dabei vergessen, sie wieder umzudrehen.


Hoek van Holland
Mit der Metro geht es schließlich nach Hoek van Holland, dem kleinen Küstenort, der morgen früh mein Sprungbrett nach England wird. HvH ist mehr als nur ein Fährhafen – es ist ein verstecktes Juwel mit einem fantastischen, 3,5 Kilometer langen und bis zu 250 Meter breiten Sandstrand, nur zwei Kilometer vom Hotel entfernt. Der feinste Sand, den die Nordsee zu bieten hat.
Auf dem Rückweg zum Hotel weist mir ein riesiger Vollmond den Weg – ein silberner Kompass am Himmel, der verspricht: Das Abenteuer hat gerade erst begonnen.
Fazit des ersten Tages
Vier pünktliche Züge, eine spontane Stadtentdeckung, die besten Sushi der Niederlande und ein Mondschein-Spaziergang am Meer – so kann eine Interrail-Reise beginnen. Morgen wartet die Fähre nach Harwich, und dahinter liegt ein ganzer Kontinent voller Geschichten, die darauf warten, erlebt zu werden. Europa ist groß, die Zeit ist knapp, aber die Vorfreude ist grenzenlos. Ich habe 527 km mit der Bahn und 14,7 km zu Fuß zurückgelegt.

